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SPECIAL zu Chuck Palahniuk

Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen

„Wie ist es möglich, zwei Langstreckenflüge für 50 Dollar zu bekommen?", fragt der Erzähler zu Beginn von „Das Kainsmal“ seinen Sitznachbar, dem er gerade seinen Scotch mit Eis gereicht hat. Schließlich ist dieser Preis für amerikanische Verhältnisse so niedrig, dass er seinen Ohren kaum trauen mag. „Nun ja", entgegnet dieser, „das ist im Grunde genommen ganz einfach. Wenn man der Vater von Rant Casey war, wollen die Leute bloß, dass man möglichst weit weg von ihnen ist." War? Richtig gelesen, war. Denn Rant Casey, schillernde Hauptfigur des Romans „Das Kainsmal", ist tot. Doch damit ist die Geschichte seiner Tour de Force keineswegs zu Ende. Denn es gilt herauszufinden, wie und warum dieser schon früh als Prototyp eines Außenseiters sowohl verschriene als auch verehrte Galgenvogel verstorben ist.

Faszination Gift
Zentraler Ort des anfänglichen Geschehens ist das kleine Städtchen Middleton. Hier lebt Buster „Rant" Casey behütet mit seinen Eltern Irene und Chester, doch bereits in frühesten Kindheitstagen beginnt sich abzuzeichnen, dass Rant Casey anders ist. Erstes einschneidendes Erlebnis ist der Tod seiner Großmutter, die auf dem Weg zu einem Festakt von einer Schwarzen Witwe angefallen wird. Rant beginnt daraufhin, sich für natürliche Gifte zu interessieren und immunisiert sich nach und nach gegen sämtliche ihm bekannte Substanzen. Egal ob Kojote, Klapperschlange oder Fledermaus: Er ist besessen davon, sich von diesen Tieren beißen zu lassen, wofür ihm kein Weg zu weit und keine Höhle zu tief ist. Schon bald trägt er verschiedene Krankheitserreger in sich und ist unter anderem Schuld an einer Tollwut-Epidemie in seinem Heimatort.

Irgendwann beschließt Casey, das beschauliche Kleinstadtleben hinter sich zu lassen. Er gilt sowieso als verquerer Sonderling und dank eines verblüffend einfachen Tricks hat er mehr als ausreichend finanzielle Mittel für seine Weiterreise angesammelt: Während eines heißen Sommers stieß er zufällig auf alte Farbdosen, in denen vor langer Zeit alte Münzen gesammelt wurden. Da diese Dosen teilweise aus dem 18. Jahrhundert stammen und heute einen immensen Wert besitzen, macht Rant Casey aus seiner zufälligen Entdeckung ein lukratives Geschäft. Nach und nach sammelte er auf umliegenden Farmen vertrocknete Farbdosen auf und häufte auf diese Weise ein Vermögen an antiken Geldstücken an.

Party Crashing
Gut ausgestattet begibt sich dieser ebenso einfallsreiche wie skurrile Charakter also auf große Fahrt und schließt sich in der nächsten Stadt einer Gruppe von sogenannten „Party Crashern" an. Organisiert in losen Verbänden veranstalten sie je nach nächtlichem Polizeiaufkommen illegale „Crash-Sessions", bei denen sie ohne Einladung auf fremden Partys erscheinen und die jeweilige Wohnung verwüsten. Hier lernt Rant Casey seine spätere Freundin Echo Lawrence kennen und findet so langsam Anschluss, was ihm in Middleton aufgrund seines eigenartigen Wesens nicht gelungen war. Ein Satz bleibt besonders hängen, wenn sich Bekannte von Rant an dessen zerrüttetes Verhältnis zu seinen Eltern und seiner Heimatstadt erinnern: „Rant sagte immer, seine Leute sollten ihn so sehr wie möglich verabscheuen. Denn nur so würden sie damit klarkommen, dass er sie verlässt."

Der Erzählstil von Chuck Palahniuk weiß den Leser von Beginn an zu faszinieren, was an mehreren Faktoren liegt. Zum einen kommen viele grundverschiedene Charaktere zu Wort, die ihre Auffassungen und Ansichten zum Leben Rant Caseys schildern. Dazu zählen etwa seine Eltern, Freunde und Wegbegleiter, sowie seine „Feinde aus Kindertagen" wie der örtliche Sheriff oder der behandelnde Arzt seiner Bisswunden. Zum anderen gelingt es Palahniuk geschickt, Motive bekannter Romane einzubauen. So verfügt Rant Casey über eine unglaublich präzisen Geruchs- und Geschmackssinn, was frappierend an Patrick Süskinds „Das Parfüm" erinnert. Außerdem werden die Anmerkungen der Wegbegleiter immer wieder von beiläufigen Einschüben unterbrochen, zum Beispiel den Verkehrsmeldungen oder den Äußerungen eines Anthropologen, was dazu führt, dass der Leser eine gewisse Distanz zu den Figuren des „Erzählromans" aufbaut.

Eine beißende Gesellschaftssatire
„Das Kainsmal" ist Chuck Palahniuks mittlerweile zehnter Roman und beinhaltet wie schon seine vorherigen Veröffentlichungen beißende Seitenhiebe auf die amerikanische Medienlandschaft und deren Einfluss auf den allgemeinen Werteverfall. Bekannt wurde der Autor mit seinem Debüt „Fight Club", das von Regisseur David Fincher mit Brad Pitt und Edward Norton in den Hauptrollen verfilmt wurde. „Fight Club" begründete seinen Ruhm als „Kultautor" der amerikanischen Gegenwartsliteratur und gilt bis heute als Meisterwerk der zynischen Beobachtung des Alltäglichen. Derzeit lebt Chuck Palahniuk in Vancouver und plant einen weiteren Roman als Drehbuchvorlage für seinen „Lieblingsregisseur" David Fincher.
(ch)
mit freundlicher Genehmigung © BeNet, Gütersloh

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