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Christopher Coake »Bis an das Ende der Nacht«

SPECIAL zu Christopher Coake »Bis an das Ende der Nacht«

"Ich habe viel Gewalt und Schmerz gesehen"

Christopher Coake über sein Erzähldebüt "Bis an das Ende der Nacht"

Christopher Coake
© Abigail Blosser
Nach der Lektüre von "Bis an das Ende der Nacht" fällt es schwer, zu glauben, dass diese Geschichtensammlung tatsächlich Ihr Debüt ist. Was hat Sie zu den Erzählungen inspiriert?

Christopher Coake: Ich schreibe seit meiner Jugend. Ich wollte schon immer Schriftsteller werden und habe jahrelang auf diesen Beruf hingearbeitet. Unter anderem habe ich zwei Hochschulabschlüsse in kreativem Schreiben erworben und unzählige Seiten verfasst - all das mit dem Ziel, ein eigenes Buch zu veröffentlichen. Was die Inspiration für "Bis an das Ende der Nacht" angeht: Ich habe alle Erzählungen aus dem Buch geschrieben, nachdem meine erste Frau Joellen 1999 an Krebs gestorben ist. Natürlich habe ich auch schon vorher geschrieben - manches davon war sogar recht gut - aber durch Joellens Tod bekamen meine Geschichten eine neue Ausprägung. Kurz vor Joellens Tod bekam ich die Nachricht, dass erstmals eine meiner Geschichte veröffentlicht würde, und zwar im "Journal" der Ohio State University. Nach dem Tod meiner Frau gab mir diese Veröffentlichung die Kraft, mit dem Schreiben weiter zu machen. Natürlich war viel von dem, was ich in dieser Zeit produzierte, grausam und selbstmitleidig. Aber nach einer gewissen Zeit begannen die Geschichten Form anzunehmen.

Die Geschichten in "Bis an das Ende der Nacht" beschäftigen sich alle mit dem zentralen Thema Tod. Wie schwierig war es, über dieses Thema zu schreiben, ohne die Erzählungen allzu düster und negativ erscheinen zu lassen?

Christopher Coake: Das war tatsächlich schwierig - ein richtiger Kampf. Vieles von dem, was ich nach Joellens Tod schrieb, war entweder sehr negativ oder sehr sentimental. Aber meine Frau war lange Zeit krank und ich hatte mich bereits vor ihrem Tod ausführlich mit den Themen Sterben und Leiden auseinandergesetzt. Es war also nicht so, als ob sich meine Weltsicht über Nacht völlig verändert hätte. Das Buch ist eine komplexe Mischung aus dem, was Joellen zustieß und was das bei mir bewirkte und wie ich als Mensch damit umging. Ich möchte auch betonen, dass ich jede Menge Unglück in dieser Welt erlebt hatte, lange bevor ich Joellen überhaupt kennen lernte. Meine Familie war - um es mit einem bösen und notwendigerweise vereinfachenden Wort zu beschreiben - dysfunktional. Ich habe viel Gewalt und Schmerz gesehen.

Also basieren Ihre Erzählungen auf wahren Geschichten?

Christopher Coake: Nein, absolut nicht! Ich möchte betonen, dass alles in "Bis an das Ende der Nacht" fiktiv ist. Besonders jene Geschichten, die vermeintliche Parallelen mit meiner eigenen Biographie haben. Eines meiner Ziele beim Schreiben dieses Buches war es, meine eigene Trauer als Ausgangspunkt zu nehmen und sie umzuformen. Ich habe versucht, gemeinsame Punkte, gemeinsame Gefühle mit den fiktiven Charakteren meiner Geschichten zu finden. Aber das ist wirklich alles erfunden!

Haben Sie eine persönliche Lieblingsgeschichte in dem Buch?

Christopher Coake: Besonders stolz bin ich auf "Unterwegs", weil diese Geschichte rein erzähltechnisch am Schwierigsten zu schreiben war. Es ging mehr oder weniger darum, zwei Geschichten simultan zu erzählen und dafür genau dieselben Worte zu benutzen. Wenn ich mir die Geschichte heute als "Handwerker" ansehe, finde ich sie fast perfekt. "In der Nacht vor dem Christfest" ist meine bisher erfolgreichste Erzählung. Sie wurde zum Beispiel in die Anthologie "Best American Mystery Stories 2004" aufgenommen und stand im selben Jahr auf der Auswahlliste für die "Best American Short Stories". Ich denke, die Geschichte gefällt den Lesern am Besten, weil sie so spannend ist. "Solos" war für mich auch eine Herausforderung, weil die Protagonistin und Erzählerin Ani mir persönlich sehr fern ist. Ich habe für "Solos" die meiste Zeit gebraucht, aber denke heute, dass die Geschichte beim Leser genau das bewirkt, was ich beabsichtigt habe.

War es für Sie schmerzhaft, diese intimen Fabeln zu ersinnen, in jedes dieser Dramen einzudringen?

Christopher Coake: Manchmal ja. Wenn ich Leuten meine persönliche Geschichte und die des Buches erzähle, nehmen sie automatisch an, dass das Schreiben für mich sehr schmerzhaft war. Das war es aber nicht immer. Die schriftstellerische Arbeit, die Geschichte Wort für Wort auf Papier zu bringen, überlagerte teilweise den Schmerz, der den Worten innewohnte. Ich möchte nicht zynisch oder respektlos sein - diese Geschichten sind für mich zutiefst emotional! Aber trotzdem: Wenn ich beginne, über etwas zu schreiben, gerate ich in eine Art Trance. Das lyrische Ich, dass all' diese Gefühle hat, tritt hinter den Schreiber zurück, der versucht, diese Gefühle auszuformen und zu ordnen. Das ist leider sehr schwierig zu beschreiben, aber so in etwa funktioniert es.

Was antworten Sie Lesern, die das Buch zu negativ oder depressiv finden?

Christopher Coake: Jeder Leser hat das Recht, auf ein Buch so zu reagieren, wie er es möchte oder muss. Aber ich glaube, es ist die Pflicht von Autoren und Künstlern, auf die negativen und harten Dinge im Leben zu verweisen. Künstler werfen ihr Licht auf Dinge, die die Leute in ihrem Alltag zu ignorieren versuchen. Wir haben in den USA, in unserer Kultur im Allgemeinen vielleicht, eine Tendenz, die Dinge mit Zuckerguss zu überziehen. Wir versuchen, komplizierte und düstere Situationen in leicht verdauliche Häppchen umzuwandeln. Ob meine Leser sich von meinen Geschichten positiv inspiriert oder eher verstört fühlen, ist für mich nicht das Wesentliche. Für mich ist es wichtig, dass sie ins Nachdenken kommen, dass sie versuchen, sich auszumalen, wie sie reagiert hätten, wären sie in eine dieser extremen Situationen aus dem Buch gekommen. Das ist es, was ich tue, wenn ich ein Buch lese und das wünsche ich mir auch von meinen Lesern.

War dieses Buch für sie so erlösend zu schreiben wie es für manchen Leser zu lesen ist?

Christopher Coake: Ich bin mir nicht sicher. Wenn ich jetzt ja sage, reduziere ich einen langen und komplizierten Prozess auf etwas zu Einfaches: Man erleidet einen großen Verlust, man schreibt ein Buch und schon geht es einem besser. Und damit würde ich all' die anderen positiven Dinge ignorieren, die mir seit Joellens Tod passiert sind. Ich sehe das Schreiben nicht als simple Katharsis, als Schlüssel zu allem anderen. Aber natürlich war dieses Buch für mich in gewisser Weise eine Erlösung und es wäre dumm, das abzustreiten. "Bis an das Ende der Nacht" hat mir vieles Gutes gebracht. Ich habe mich von einem traurigen und verstörten Witwer in einen Autor mit einem eigenen Buch und einem spannenden Universitätsjob an einem Ort, wo ich mich wohl fühle, verwandelt.

Nick Hornby bezeichnet sich selbst als Christopher-Coake-Fan. Wie haben Sie sich kennen gelernt?

Christopher Coake: Während meines ersten Studienjahrs an der Ohio State University kam Nick Hornby für eine Woche als Gastdozent in unseren Schreibkurs. Er mochte einige meiner Geschichten und sprach mit seinem Verleger darüber. Der Verlag nahm daraufhin Kontakt mit mir auf und ich schickte ihnen das, was ich damals für meine besten fünf Erzählungen hielt. Rückblickend waren mehrere davon nicht wirklich gut, aber damals war das schon okay. Der Verlag entschied sich letztlich gegen mich, aber dafür brauchten sie eine Weile und in dieser Zeit versuchte ich, aus meinen Geschichten so etwas wie ein Gesamtwerk zusammenzubauen. Ich überlegte mir damals erstmals, wie die einzelnen Geschichten miteinander interagierten, welche Gesamtaussage sie zusammen ergaben. Ohne Nicks Initiative wäre ich vermutlich noch eine ganze Weile ziellos umhergeirrt. Es war ein glücklicher Zufall, dass er mir damals diesen Stoß nach vorn versetzte und dass ich zu dem Zeitpunkt schriftstellerisch soweit war, auf diesen Stoß mit guter Arbeit zu reagieren.

Gibt es bereits ein neues Buchprojekt? Wie viel können Sie verraten?

Christopher Coake: Ich arbeite an einem Roman. Er spielt an einem Ort, der der Stadt in Colorado, in der ich aufwuchs, sehr ähnelt. Der Roman wird viele verschiedene Geschichten vereinen und diese Geschichten werden zu verschiedenen Zeitpunkten in den letzten anderthalb Jahrhunderten stattfinden. Ich experimentiere gerade mit Geistergeschichten - aber mit einer Art von Geistergeschichten, die selbst ein Typ wie ich, der nicht an Geister glaubt, gut findet. Der Roman wird auch eine Liebesgeschichte werden - soviel kann ich schon mal verraten.