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Interview mit Cheryl Strayed zu »Der große Trip«

"Der große Trip. Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst"

Cheryl Strayed über ihre Extremwanderung entlang des Pacific Crest Trails

Cheryl Strayed
© Christopher Schmid
In Ihrem autobiographischen Bericht schreiben Sie über Ihre Wanderung auf dem Pacific Crest Trail. Sie sind ganz allein mehr als 1000 Kilometer dieses Wildnispfads gegangen, von der Mojave-Wüste im Süden Kaliforniens bis nach Oregon, nahe der kanadischen Grenze. Sie haben das getan, um eine große Krise in Ihrem Leben zu überwinden. Was war geschehen?

Als ich die Entscheidung traf, den Pacific Crest Trail zu gehen, war ich in einem Zustand tiefster Verzweiflung. Meine Mutter war wenige Jahre zuvor mit 45 unerwartet an Krebs gestorben, ich war damals 22 Jahre alt. Sie war mein einziger Elternteil, denn zu meinem Vater hatte ich keine Beziehung. Meine Geschwister und ich lebten uns auseinander. In meiner unendlichen Trauer begann ich, mein eigenes Leben zu zerstören. Ich war verheiratet mit einem Mann, den ich liebte, aber ich konnte diese Beziehung nicht erhalten. Ich fing Affären mit anderen Männern an und begann, Heroin zu nehmen. Ich war Anfang 20 und wie viele in diesem Alter versuchte ich herauszufinden, wer ich war und welchen Weg ich gehen sollte. Ich fühlte mich verloren. Ich beschloss, diese Wanderung zu machen, um mich wiederzufinden.


Sie sind ohne Trekking-Erfahrung auf den PCT gegangen. Wie haben Sie die Extreme der Natur empfunden? Was war das schlimmste Erlebnis, das Sie hatten? Und was war die schönste Erfahrung, die Sie gemacht haben?

Ich habe mit Begeisterung Tageswanderungen gemacht, aber vor dem Trip bin ich nie eine Tour mit Rucksack gegangen. Ich habe schnell gelernt, dass dies zwei absolut verschiedene Dinge sind! Nichts ist damit vergleichbar, einen schweren Rucksack zu tragen und nächtelang in der Wildnis zu übernachten. Ich musste eine Menge lernen und ich musste mich auch an die körperlichen Herausforderungen gewöhnen. Es war wesentlich härter, als ich es erwartet hatte. Ich habe jede Art von Wetter erlebt – Hitze, Kälte, Schnee, Regen, die unbarmherzige Sonne, heftige Winde. Am schlimmsten war es immer dann, wenn die Wettersituation einen an sich schon schwierigen Tag noch härter machte. Als es so unsäglich heiß war, dachte ich oft, ich könnte keinen einzigen Schritt mehr tun, aber ich hatte ja keine Wahl. Wundervolle Erlebnisse hatte ich jeden Tag. Selbst wenn ich mich elend fühlte, war ich glücklich, dort zu sein. Einen großartigen Sonnenuntergang über den Bergen zu sehen lindert jeden Schmerz.

Heben Sie »Monster«, wie Sie Ihren riesigen Rucksack genannt haben, immer noch zu Hause auf?

Ja, natürlich! Und ich benutze ihn, wann immer ich wandern gehe.

Sie waren ganz allein auf dem Trip und haben nur hin und wieder andere PCT-Wanderer getroffen. Wie macht man unter so speziellen Bedingungen soziale Kontakte? Haben diese Begegnungen den Trip für Sie leichter gemacht?

Ich war oft tagelang unterwegs ohne eine Menschenseele zu treffen. Die ersten acht Tage meiner Wanderung bin ich niemandem begegnet. Die Einsamkeit war ungeheuer – weit mehr, als ich es erwartet hatte – und wenn ich dann jemanden getroffen habe, war dies ein bedeutender Moment. Ich habe mich allen, die eine längere Strecke auf dem PCT zurückgelegt haben, sofort sehr nah gefühlt, so als ob wir etwas gemeinsam hätten, auch wenn wir uns gerade erst über den Weg gelaufen waren. Großzügigkeit war auf dem Trail eine Selbstverständlichkeit, ebenso wie Liebenswürdigkeit, gegenseitiger Respekt – und die Bereitschaft, den eigenen Schokolade-Vorrat zu teilen. Häufig lag es an den Menschen, denen ich begegnete, dass ich weitergegangen bin. Sie haben mir Mut gemacht und mich zum Lachen gebracht. Wir haben uns gemeinsam gequält oder Strategien entworfen. Das wichtigste an ihrer Gegenwart war, dass ich dachte, wenn sie es schaffen, schaffe ich es auch. Ich habe auch Menschen getroffen, die nicht auf dem PCT unterwegs waren und die entsetzt oder verwirrt waren über das, was ich tat – aber sie waren für mich genauso wichtig. Sie haben dafür gesorgt, dass ich geerdet und mit der Welt jenseits des PCT verbunden blieb. Nach all diesen Jahren bin ich immer noch überwältigt, mit welcher Großzügigkeit mir viele Fremde in diesem Sommer begegnet sind. So viele Menschen waren so gut zu mir. Das ist etwas, was man nie vergisst.

Sie haben nicht nur mit »Monster« und der Natur gekämpft, sondern auch mit Ihren Wanderschuhen. Ist es Ihnen während der Wanderung jemals in den Sinn gekommen aufzuhören – beispielsweise in dem Moment, als Sie den einen Ihrer beiden Wanderschuhe verloren hatten?

Meine Stiefel waren der Fluch meiner Existenz! Sie haben sich in ihrer Grausamkeit fast lebendig angefühlt, als ob sie mir absichtlich Schmerzen zufügen wollten. Als ich den einen verlor und er über einen steilen Berghang fiel, war ich geschockt, aber auch auf eigenartige Weise erleichtert. In diesem Moment wollte ich nicht aufgeben, aber während meines Trips habe ich mehrfach daran gedacht – immer dann, wenn es besonders hart oder unbehaglich war. Aber ich kam immer wieder zu der Erkenntnis, dass ich mehr als alles andere auf der Welt weitergehen wollte. Ich war auf einer Mission und ich würde nicht anhalten, bevor ich da angekommen war, wo ich hinwollte.

Sie waren drei Monate unterwegs. Wie hat das Wandern Ihre Erinnerungen, Ihren Kummer und Ihre Beziehung zu sich selbst geändert?

Das Wichtigste, was ich während des Trips gelernt habe, ist, Gegebenheiten anzunehmen. Ich musste mich einfach den Anforderungen des Wegs beugen. Dabei habe ich gelernt, emotional wieder gesund zu werden. Ich wollte nicht in einer Welt ohne meine Mutter leben, aber ich musste es. Ich wollte an einem Tag nicht noch zehn Meilen einen Berg hoch laufen, aber ich musste es tun. Das waren kraftvolle, einfache, tiefe Erkenntnisse, die mich grundlegend verändert haben.