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ClubParadies_3DCover

Neues von Caren Benedikt

Club Paradies

Berlin, 1976: Der skrupellose Immobilienpatriarch Hanns Borchardt befindet sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere – er ist der Mann, mit dem jeder Geschäfte machen will. Seiner Frau Maria und seinen beiden Kindern Holger und Hanna bietet er ein luxuriöses Leben. Doch die perfekte Fassade der Borchardts trügt: Hanna sehnt sich nach Freiheit und einem selbstbestimmten Leben, Holger begehrt gegen die Familie und die spießige Gesellschaft auf, und Maria denkt über Scheidung nach.

Hanns hat aber noch weitaus größere Probleme, denn mit all dem Ruhm und Reichtum geht auch eine Gier einher, die ihn eine verhängnisvolle Entscheidung treffen lässt. Welchen Preis ist Hanns bereit zu zahlen, um sein Lebenswerk zu retten? Und was hat Lea Stern, die Besitzerin von Berlins spektakulärstem Nachtclub, mit alldem zu tun?


Leseprobe

Villa Borchardt, Koenigsallee 75, Berlin-Grunewald

Freitag, 19. November 1976


Ich bin der Marionettenspieler, und ihr seid die Puppen, die an meinen Strippen hängen und sich genauso bewegen, wie ich es will.
Hanns Borchardt

Alles war vorbereitet, er hatte an alles gedacht. Wie immer. Was er plante, gelang, dafür sorgte Hanns schon. Es hatte ihn tatsächlich einige Mühe gekostet, Maria über die Stunden zu beschäftigen und bei Laune zu halten, um sie möglichst weit und lange von zu Hause wegzubekommen. Natürlich hatte sie es ihm nicht abgeschlagen, immerhin hatte er ihr gesagt, dass es darum ging, ihr an ihrem fünfzigsten Geburtstag eine besondere Freude machen zu wollen. Also war er mit seiner Frau zunächst zur Damenausstatterin gefahren, wo eine Modenschau mit den neuesten Modellen an Tagesgarderobe und Abendkleidern für Maria veranstaltet worden war und sie sich nach Herzenslust hatte einkleiden können. Kurz war Hanns verärgert gewesen, meinte seine Frau doch, dass sie genug schöne Kleider besaß und sie eigentlich gar nichts hätte haben wollen. Natürlich hatte er ihre Argumente nicht gelten lassen. Was für ein Unsinn aber auch. Am Ende hatte sie dann zwei Kostüme und ein Abendkleid bestellt, und Hanns hatte, Marias Einwände ignorierend, noch einmal fünf weitere Modelle zusätzlich in Auftrag gegeben. Dann war er mit seiner Frau im Helikopter an die Nordsee geflogen, und sie hatten dort zu Mittag gegessen, weil Maria aus einem Dorf in der Nähe von Bremerhaven stammte und bis heute behauptete, dass man nirgendwo besser Fisch essen konnte. Hanns hatte es zwar missfallen, dass seine Frau sich lediglich eine gemischte Fischplatte bestellt hatte und den Hummer mit dem russischen Kaviar und den Austern, die Hanns geordert und extra vorbestellt hatte, ablehnte. Da es aber ihr Geburtstag war, sagte er nichts. Doch manchmal, so musste er feststellen, gelang es Maria einfach nicht, den provinziellen Mief des Gewöhnlichen hinter sich zu lassen, auch nach all den Jahren des Reichtums und Überflusses nicht. Aber er wollte sie an diesem Tage nicht dahingehend belehren. Für den Abend, so dachte Maria, würde es ein gemütliches Essen zu Hause im engsten Familienkreis geben. Nur Hanns, Maria und die gemeinsamen Kinder Holger und Hanna. Das hatte seine Frau sich gewünscht. Doch natürlich hatte Hanns etwas ganz anderes geplant und würde seine Frau hiermit überraschen. Wenn sie gleich mit dem Helikopter landeten, würden bereits fast hundert Gäste auf sie warten. Immerhin zählte seine Familie zur besseren Gesellschaft, und mit dieser umgab man sich nun mal zu einem Anlass wie dem fünfzigsten Geburtstag, wenn man weiterhin dazugehören wollte. Und das wollte Maria schließlich auch, selbst wenn sie manchmal so tat, als würde ihr all das nichts bedeuten. Hanns lenkte seine Frau ab, als sein Privatpilot Harald Flenske mit dem Helikopter zur Landung ansetzte. Schließlich sollte Maria nicht auf die vielen Autos aufmerksam werden, die im hinteren Bereich des Geländes und um das Grundstück herum abgestellt worden waren. Zwar war es zu dieser Jahreszeit in den Abendstunden bereits dunkel und die Fahrzeuge damit nicht auf den ersten Blick zu erkennen, doch er wollte lieber nichts riskieren. Zu ihrer Überraschung zog er seine Frau an sich und gab ihr einen langen Kuss, den er abbrach, als der Helikopter aufsetzte. »Da sind wir«, verkündete er. »Hanns«, sagte Maria und sah ihn glücklich an. »Du hast dir wirklich viel Mühe gegeben heute, und ich weiß, dass es für dich nicht leicht war, den ganzen Tag mit mir zu verbringen und deine Arbeit einfach liegen zu lassen.« Sie beugte sich vor und gab ihm noch einen Kuss. »Danke. Das bedeutet mir wirklich viel.« »Für dich tue ich doch alles.« Er küsste sie noch einmal kurz und sah dann auf ihren Mund. »Du solltest deinen Lippenstift nachziehen, meine Liebe«, bemerkte Hanns. »Ich glaube, unsere Kinder wird es nicht stören«, lachte Maria auf. Aber Hanns kramte schon in ihrer Handtasche und holte den Lippenstift hervor. »Hier. Tu es für mich. Du bist viel zu schön, um nicht perfekt zu sein.« Etwas zögernd ergriff sie den Lippenstift, nahm einen kleinen Spiegel zur Hand und zog sich die Lippen nach. »Besser?«, fragte sie. Hanns sah seine Frau an. Ihre langen blonden Haare ließen sie jünger aussehen, und es hatte ihr über die Jahre gutgetan, nur die besten Pflegeprodukte nutzen zu können. Sie hatte kaum Falten, nur ein paar um die Augen, vor allem aber strahlte sie noch immer die überlegene Schönheit aus, wegen derer er sich damals in sie verliebt hatte. Ja, Maria war eine schöne Frau. Seine Frau. Und was sie ihm an Aussehen voraushatte, vermochte er heute mit Geld auszugleichen. Als er sie vor über siebenundzwanzig Jahren kennengelernt hatte, hatte er längst noch nicht so viel besessen. Doch Hanns war es trotzdem gelungen, Maria für sich zu gewinnen, denn eines konnte er wie kein zweiter: Verkaufen und die Menschen von sich überzeugen! Das hatte er schon früh bemerkt, ganz früh sogar, bei der alten Frau Schmelzer, deren Hof ein Stück von dem seiner Eltern entfernt gelegen war. Er hatte ihr eine Holzleiter verkauft, die er beim Spielen im Bach gefunden hatte. Wie diese dorthin gekommen war, wusste er nicht. Er war damals erst neun oder zehn Jahre alt gewesen und erinnerte doch immer noch, wie modrig das Holz gerochen hatte und wie glitschig es war, als er die Leiter herausgefischt hatte. Zunächst wusste er noch nicht, was er damit anfangen würde und hatte sie erst einmal mit einem Lappen gereinigt und eine Weile trocknen lassen. Dann war er auf die Idee gekommen, sie Frau Schmelzer anzubieten, und aus welchem Grunde auch immer, hatte die Bäuerin sich auf den Handel eingelassen. Zwei Mark fünfzig hatte er für die Leiter bekommen, und eigentlich war es ein gutes Geschäft gewesen. Nur dass das elende Ding so morsch gewesen war, dass die Stufen brachen, als Herr Schmelzer sie sich gegriffen hatte und daraufgestiegen war. Er war wohl unsanft auf dem Hosenboden gelandet, und im Grunde war nichts weiter geschehen, doch die Schmelzers hatten ein riesiges Theater veranstaltet, als sie zu Hanns’ Eltern gegangen waren und ihnen davon erzählten. Nicht nur, dass er von seinem Vater sofort eine schallende Ohrfeige bekommen und zu erklären gehabt hatte, woher die Leiter überhaupt stammte. Ärgerlicherweise hatte er auch die zwei Mark fünfzig zurückgeben müssen, was ihn weit mehr geschmerzt hatte als die Backpfeife. Sogar mehr als die zweite, die er kassiert hatte, als er sich zunächst weigerte, das Geld wieder herauszugeben. Er hatte es schlicht als ungerecht empfunden, war es doch ein fairer Handel gewesen, bei dem Hanns keinerlei Zusicherungen über die Stabilität oder Herkunft der Leiter gegeben hatte. Aber damals war er noch nicht gegen seinen Vater angekommen und hatte sich schließlich fügen müssen. Doch er hatte hierbei die Erkenntnis gewonnen, dass es ihm lag, die Menschen von sich zu überzeugen und ihnen etwas zu verkaufen. Und hierbei war es ihm völlig egal, was es war. Nach seinem Volksschulabschluss hatte er dann erst mal auf dem elterlichen Hof gearbeitet, auch wenn ihm immer klar gewesen war, diesen keinesfalls übernehmen zu wollen. Doch er war noch nicht einmal volljährig gewesen und damit zu jung wegzugehen, konnte er doch nicht einmal einen Vertrag rechtssicher unterschreiben. Dann kam der Krieg, und er wurde eingezogen, doch er machte dort vollkommen andere Erfahrungen als seine Kameraden, die kampfwillig waren und letztendlich doch wie die Fliegen starben. Hanns hatte es geschafft, über die gesamte Zeit nicht einen einzigen Schuss abgeben zu müssen. Wenn er zurückdachte, fragte er sich, ob er überhaupt jemals ein Gewehr in der Hand gehalten hatte. Denn Hanns’ Kommandeur hatte sehr schnell mitbekommen, dass Hanns’ Talent ganz gewiss nicht darin bestand, mit der Waffe in der Hand dem Feind gegenüberzutreten. Hanns war ein Meister im Beschaffen von Gegenständen aller Art. So wurde er auch nicht an die Front geschickt, sondern in ein Arbeitslager bei Berlin, in dem er für die Organisation von Materialien und deren Verwaltung, Verteilung und die Logistik innerhalb Deutschlands zuständig war. Keine Frage, dass er sich hierbei einen recht ergiebigen eigenen Nebenhandel aufbaute und somit durch die schwärzeste Zeit des Landes tatsächlich nicht nur unverletzt kam, sondern sogar mit einem recht satten Gewinn herausging. Es war eher Zufall, dass er dort Benjamin Rebers, einen inhaftierten jüdischen Arzt kennenlernte, der ein Grundstück in Berlin-Grunewald besaß und dies Hanns anbot, wenn dieser ihm half, dessen Frau und Tochter aus dem Arbeitslager herauszuschaffen. Es war eine heikle Angelegenheit gewesen, doch zu dem Zeitpunkt verfügte Hanns bereits über ein so dichtes Netzwerk von Leuten, mit denen er regelmäßig Geschäfte machte, dass es nicht so schwer war, die Sache abzuwickeln, wie er anfangs dachte. Hanns hielt seine Zusage, Ava und Rachel Rebers wurden befreit, und er bekam das Grundstück samt Haus übertragen. Und zwar rückwirkend und unter falschem Datum, damit es so aussah, als hätte seinem Vater das Haus bereits im Jahr 1932 gehört und dass dieser es seinem Sohn schon im Jahr 1942 überschrieben hätte. Natürlich hatte sein Vater nicht die geringste Ahnung von diesem Handel und Hanns dessen Unterschriften schlicht gefälscht. Das hätte ihm gerade noch gefehlt, dass sein alter Herr die Früchte seiner Machenschaften geerntet hätte. Doch so war Hanns in den Besitz seines ersten Hauses gekommen, dem weitere repräsentable Anwesen folgen sollten, nachdem die Sache mit Benjamin Rebers so hervorragend funktioniert hatte. Gleich nach der Überschreibung war Hanns dann in das frühere Rebers-Haus eingezogen und hatte dort sogar noch die ersten Ehejahre mit Maria und den Kindern gelebt, bevor es Hanns nicht mehr als angemessen erschien und er es schließlich verkaufte. Zu der Zeit war er schon gut im Immobiliengeschäft etabliert, und bis zum heutigen Tag hatte ihn nie jemand gefragt, wie es ihm gelungen war, an so viele Grundstücke und Immobilien zu kommen, deren Besitzer früher fast ausschließlich Juden gewesen waren. Es hatte Hanns vor allem zwei Dinge gezeigt: Wie einfach sich Menschen blenden ließen und – und das war für ihn noch viel wichtiger – dass man auch aus den schlechtesten Situationen stets ein gutes Geschäft herausholen konnte, wenn man sich nur anstrengte und mutig genug war. »Warum ist denn das Haus so dunkel?«, fragte Maria etwas beunruhigt, als sie nun auf die stattliche Villa zugingen. »Wahrscheinlich sind Holger und Hanna oben in ihren Zimmern «, gab Hanns zurück. »Aber Frau Kasper lässt doch immer die Halle beleuchtet, bis wir ins Bett gehen«, hielt Maria dagegen. »Nun hat sie heute aber mal alles ausgemacht, Maria.« Hanns nahm ihre Hand und legte sie in seine Armbeuge. »Mach dir doch nicht immer gleich Gedanken. Bestimmt ist Frau Kasper bei Monsieur Petit in der Küche und hilft ihm, ein wunderbares Essen für uns zu zaubern.« Maria gab einen verächtlichen Laut von sich. »Du weißt genau, dass sie den Koch nicht leiden kann. Freiwillig würde sie ihm ganz sicher nicht helfen.« Hanns bedachte seine Frau mit einem milden, wissenden Lächeln, ging aber nicht auf ihren Einwand ein. Anders als sonst, wenn Frau Kasper, ihre Haushälterin, hörte, dass der Hubschrauber gelandet war, wurde heute nicht die Tür von dieser geöffnet, sondern Hanns ging darauf zu und schloss auf. Er konnte seiner Maria anmerken, wie eigenartig ihr auch dies erschien, doch sie sagte nichts. »Tritt ein, Liebes«, forderte Hanns sie auf und zog sie sanft in die komplett dunkle Villa. Im nächsten Moment betätigte jemand den Lichtschalter, und die Gäste, die sich allesamt in der Eingangshalle versammelt hatten, riefen wie aus einem Munde: »Überraschung!« Maria schlug erschrocken und verdutzt die Hand vor den Mund. »Na, damit hast du nicht gerechnet, was?« Hanns lachte laut auf und sah seine Frau an, die noch immer nicht recht zu verstehen schien, was hier gerade geschah. Er umarmte sie und gab ihr schließlich einen Kuss. »Alles Gute zum Geburtstag, Liebling!« Kaum, dass sie sich voneinander gelöst hatten, kamen die Gäste auf Maria zu und gratulierten. Hanns trat ein wenig beiseite, verschaffte sich einen Überblick. Der Konsul war zusammen mit seiner Ehefrau gekommen, außerdem der Bundestagsabgeordnete Seidel, der Bezirksbürgermeister, Bankiers, Rechtsanwälte, Unternehmer, allesamt in Begleitung. Ja, sie alle waren seiner Einladung gefolgt – genauso, wie Hanns es von ihnen erwartete. Er drehte sich um, sah Magdalena Kasper, die Haushälterin, die ein wenig abseitsstand. Auf einen kurzen Wink von ihm kam sie zu ihm herüber. »Ist alles im Saal vorbereitet?« »Selbstverständlich, Herr Borchardt. Alles genau wie von Ihnen gewünscht. Das Büfett steht bereit, ist jedoch noch abgedeckt. Sobald Sie das Zeichen geben, lasse ich die Abdeckungen entfernen.« »Sehr gut, Frau Kasper. Wie viele Kellner haben wir?« »Zwei männliche und vier weibliche Kellner und natürlich auch noch Anna«, gab sie Auskunft. »Sorgen Sie bitte dafür, dass die Kellnerinnen mit besonderer Aufmerksamkeit die Bankiers um Herrn Huber bedienen, und lassen Sie reichlich Alkohol ausschenken.« »Ja, Herr Borchardt.« »Gut. Ich bin so weit zufrieden«, entließ er die Haushälterin. »Vielen Dank, Herr Borchardt.« Hanns wandte sich Gerhard Lohmüller zu, dem Bankdirektor, der soeben Maria gratuliert hatte und nun mit seiner Frau zu Hanns herüberkam. »Hanns, darf ich dir meine Frau vorstellen? Viktoria, Hanns Borchardt.« »Es freut mich wirklich sehr, Herr Borchardt, Sie kennenzulernen «, sagte Lohmüllers Frau. »Vielen Dank für die Einladung. Ihre Villa ist einfach überwältigend.« »Bitte, einfach nur Hanns. Hanns mit Doppel-N.« Borchardt beugte sich vor und gab Viktoria Lohmüller einen Handkuss. »Sehr gern«, erwiderte diese charmant lächelnd. »Viktoria.« Hanns betrachtete sie. Viktoria Lohmüller war vermutlich nicht älter als Ende zwanzig, höchstens Anfang dreißig, während Hanns ihren Mann und sich etwa gleich alt schätzte und damit auf Mitte fünfzig. Wie er wusste, war Viktoria nicht die erste Frau Lohmüller. Und so, wie er es anhand des Schmucks, den Viktoria Lohmüller trug, vermutete, ließ der Bankier es sich eine hübsche Stange Geld kosten, seine junge Frau bei Laune zu halten. Er erinnerte sich noch gut an die letzten Empfänge und Wohltätigkeitsveranstaltungen, zu denen Lohmüller beinahe jedes Mal mit einer anderen Frau erschienen war. Sie hatten nur gemeinsam, dass sie alle deutlich jünger und deutlich hübscher als der Bankdirektor waren. Hanns fand das durchaus nicht verwerflich oder auch nur ungewöhnlich, hatten doch viele Geschäftsleute, mit denen er zu tun hatte, weit jüngere Frauen, die darüber hinaus nach einigen Jahren auch wieder ausgetauscht wurden. Insoweit war eher Hanns in diesen Reihen der Exot, hatten Maria und er doch im letzten Jahr bereits ihre Silberhochzeit gefeiert. Aber tatsächlich gefiel es Hanns, dass er auf eine so lange Ehezeit zurückblicken konnte, strahlte dies für ihn doch auch ein gewisses Maß an Verlässlichkeit aus. Und hieran war ihm tatsächlich sehr gelegen, wollte er doch von seinen Geschäftspartnern als ein Mann wahrgenommen werden, der wusste, wie man Menschen dauerhaft an sich bindet. »Die Überraschung ist dir aber wirklich geglückt«, befand Gerhard Lohmüller nun. »Deine Maria war ja ganz perplex.« »Sie hat wirklich nichts geahnt«, bestätigte Hanns zufrieden und beugte sich dann etwas weiter vor. »Hast du dir die Pläne schon ansehen können, Gerhard?« Der Bankier nickte. »Ja, aber nur kurz. Mir wurde ein bisschen schwindelig, als ich die Summe sah.« »Das wird ein gewaltiges Ding, Gerhard. Das größte, das wir bisher in Angriff genommen haben.« Gerhard Lohmüller sah sich um, als wollte er nicht, dass jemand ihn hören konnte. »Es braucht bei einer so großen Sache einiges mehr an Unterlagen, und ich kann die Entscheidung auch nicht allein treffen.« Hanns zog die Augenbrauen in die Höhe, als wollte er so neben seiner Verwunderung ein gewisses Maß an Missbilligung zum Ausdruck bringen. Er lächelte kurz Viktoria an, als er einen Schritt weiter vortrat, um sich so ganz nah an Gerhard Lohmüllers Ohr zu bringen. »Ich wollte heute hier bekanntgeben, dass etwas Großes, Neues geplant ist. Bei aller Freundschaft, Gerhard, werde ich dich dann nicht erwähnen können, sodass Huber mit Sicherheit Morgenluft wittern wird.« Hanns deutete in die Richtung, in der Robert Huber von der Westbank stand, Gerhard Lohmüllers größter Konkurrent in Berlin. »Entschuldigst du uns bitte kurz?«, bat Lohmüller nun an seine Frau gewandt. Viktoria zögerte, dann nickte sie und ging. »Du musst mich verstehen«, zischte Lohmüller, als Viktoria außer Hörweite war. »Mensch, Hanns, wir bewegen uns hier im hohen zweistelligen Millionenbereich, am Ende womöglich eher im dreistelligen.« »Und?«, entgegnete Hanns. »Wie viel verdient deine Bank jeden Monat mit mir, Gerhard?« Er streckte den Rücken durch. Lohmüller zögerte. »Ich kann dir hier und jetzt keine Zusage geben«, erklärte er nun. »Doch wir haben schon so viel zusammen auf die Beine gestellt. Du weißt, dass ich alles tun werde, damit es auch dieses Mal funktioniert«, sicherte der Bankier nun zu. Hanns musterte ihn. »Ich werde Ende der nächsten Woche in einem Pressegespräch die neuen Pläne bekanntgeben«, kündigte Hanns an. »Ich brauche bis spätestens Mittwoch kommende Woche Bescheid, ob deine Bank im Boot sein will oder nicht. Danach kriegt Huber den Zuschlag.« »Danke, Hanns. Ich weiß das wirklich zu schätzen.« Hanns hob erneut die Augenbrauen. »Ich will offen zu dir sein, Gerhard, ich hatte mehr von dir erwartet.« »Aber Hanns, versteh mich doch. Wenn es nur meine Entscheidung wäre. Doch bei solchen Summen genügt mein Einverständnis nicht. Da müssen noch drei weitere aus dem Vorstand ihre Unterschriften daruntersetzen.« »Geld ist Geld, Gerhard«, stellte Hanns entschieden fest. »Und ich baue schließlich im ganz großen Stil.« »Ja, und die Förderung ist hier ja auch nicht ohne«, stimmte Lohmüller zu. »Doch die große Unbekannte ist und bleibt nun einmal die Rentabilität. Wenn du das Grundstück daneben hättest und wir hier in die weiteren Planungen gehen könnten«, erklärte Lohmüller. »Dann wäre es eine ganz andere Geschichte.« »Ich habe dir gesagt, dass ich dran bin.« Hanns’ Stimme klang harscher, als er es beabsichtigt hatte. »In aller Freundschaft Hanns, aber diese Stern wird dir das Grundstück nicht verkaufen, da bin ich sicher. Ganz gleich, was du ihr bietest.« »Wenn ihr die Behörden endlich die notwendigen Lizenzen entziehen würden, hätte ich das Grundstück längst.« Die Verärgerung war Hanns’ Stimme deutlich anzuhören. »Du weißt genau, was los wäre, wenn ihr die Schankgenehmigung so mir nichts, dir nichts, entzogen und ihr Club dichtgemacht würde«, hielt Lohmüller dagegen. »Wenn du die Stern nicht auf irgendeine andere Art überzeugst, wird das nichts. Und damit steht und fällt auch das ganze Bauvorhaben.« Hanns ballte die Hand zur Faust, öffnete sie aber gleich wieder, weil er nicht wollte, dass man ihm die Verärgerung ansehen konnte. Er sah, wie der Bundestagsabgeordnete Seidel und dessen Frau auf ihn zukamen. »Entschuldige mich, Gerhard. Ich muss mich jetzt um die weiteren Gäste kümmern.« Er sah dem Bankier in die Augen. »Mittwoch nächste Woche habe ich deine Zusage, sonst macht das Geschäft ein anderer.« Lohmüller war anzusehen, dass ihm noch eine Erwiderung auf den Lippen lag, doch er schluckte sie herunter. »Mein sehr verehrter Herr Seidel, willkommen in meinem Hause«, begrüßte Hanns nun den Bundestagsabgeordneten und beachtete Lohmüller weiter nicht. Dieser kleine Feigling sollte sich ruhig so seine Gedanken machen und spüren, dass Hanns alles andere als erbaut war. Er brauchte dieses verdammte Bauprojekt und konnte es sich nicht leisten, dass die Sache kippte. Und tatsächlich bezweifelte er, dass Huber die Finanzierung bei der Westbank durchbrachte. Er würde ihn nachher, wenn Huber wie so oft dem Alkohol stark zugesprochen hatte, zu einem Gespräch bitten und versuchen, ihn zu überzeugen, doch große Hoffnung hatte er nicht. Und anderswo solche Summen zu bekommen war nahezu aussichtslos. Lohmüller musste es machen, daran führte kein Weg vorbei. »Herr Borchardt, haben Sie vielen Dank für Ihre Einladung. Kennen Sie meine Ehefrau Rita?« »Ich hatte noch nicht das Vergnügen.« Hanns beugte sich vor und reichte Rita Seidel die Hand. »Hanns Borchardt, gnädige Frau. Herzlich willkommen. Ich hoffe, dass Sie sich wohl bei uns fühlen.« Rita Seidel lächelte ihn an. »Vielen Dank für die Einladung. Ich freue mich wirklich sehr, hier zu sein. Bisher kannte ich Sie ja nur aus der Zeitung.« »Es wurde wirklich Zeit, dass wir uns kennenlernen«, befand Hanns. »Bitte, fühlen Sie sich ganz wie zu Hause.« »Hanns, mein Lieber.« Bezirksbürgermeister Rippe kam zusammen mit seiner Gattin hinzu. »Heinrich, Vera, wie schön, dass ihr hier seid! Ihr kennt doch den Bundestagsabgeordneten Helmut Seidel und seine Ehefrau Rita?« Die Paare reichten einander die Hand, während Hanns seiner Haushälterin einen Wink gab. »Frau Kasper, unsere Gäste hier haben gar nichts zu trinken. Lassen Sie uns ein Tablett mit Champagner bringen.« »Sehr wohl, Herr Borchardt«, sagte sie und ging sogleich wieder davon. Kurz darauf kam einer der Kellner mit einem Tablett voller Champagnergläser zu der kleinen Gruppe und reichte ihnen die Getränke. Hanns sah, dass Gerhard Lohmüller noch immer nur ein Stück weit entfernt stehen geblieben war. »Gerhard!«, rief Hanns und bedeutete ihm dazuzukommen. Der Bankier eilte sogleich herbei. »Ich möchte dich mit dem Bundestagsabgeordneten Helmut Seidel und dessen reizender Ehefrau Rita bekanntmachen. Und unseren Bezirksbürgermeister kennst du ja?« Er lächelte ihnen zu. »Gerhard Lohmüller ist der Vorsitzende der Maximus Privatbank und ein sehr guter Freund, auf den ich mich immer verlassen konnte.« Er lächelte Lohmüller an, der sichtlich angetan war, dem Bundestagsabgeordneten und dessen Frau vorgestellt zu werden. « Hanns hob den Kopf. »Bitte entschuldigen Sie mich einen Moment. Ich habe unseren Regierenden Bürgermeister Schütz noch gar nicht begrüßt.« Er prostete seinen Gästen zu, dann ging er und hörte, wie Lohmüller und Seidel lobende Worte über den Gastgeber sprachen. Er selbst hieß sodann den Regierenden Bürgermeister und des- sen Frau willkommen, dann einige Senatoren, Beamte der Stadtverwaltung und andere Gäste. Es dauerte eine Weile, bis alle Maria gratuliert hatten und Hanns sich schließlich an ihre Seite stellte, allen Gästen für die Überraschung, die sie seiner Frau beschert hatten, dankte und in den Saal bat, wo das Büfett bereitstand. Er gab Frau Kasper das Zeichen, worauf diese wiederum die Kellner anwies, nunmehr die Abdeckungen zu entfernen. Nach und nach begaben sich die Gäste in den Saal. »Guten Abend, Hanns«, sagte nun Klaus Schröder, Hanns’ Rechtsanwalt, und schüttelte Hanns die Hand. »N’ Abend, Klaus. Na, was sagst du? Hier ist jeder, der in Berlin Rang und Namen hat.« Klaus sah zu Maria, die kurz den Kopf senkte. »Ja, so ist es wohl«, erwiderte Klaus knapp, was Hanns auf eine gewisse Weise ärgerte. Klaus Schröder hatte nun wirklich schon gut an Hanns und dessen Geschäften verdient. Er konnte sich ruhig ein wenig beeindruckt zeigen. »Ist Peter auch da?«, erkundigte sich Hanns nun. »Ja, er muss irgendwo im Saal sein.« »Sorg dafür, dass Hanna und er ins Gespräch kommen«, forderte Hanns. »Schließlich wird es langsam mal Zeit, dass die beiden sich näherkommen.« »Ich habe da wenig Hoffnung«, gab Schröder zu bedenken. »Wenn du mich fragst, ist eure Hanna nicht besonders interessiert, und Peter scheint es ähnlich zu gehen.« »Was soll das denn heißen?«, begehrte Hanns auf. »Glaubt dein Sprössling etwa, dass unsere Hanna nicht gut genug für ihn ist?« »Aber das hat Klaus doch gar nicht gesagt«, brachte sich nun Maria ein. »Die jungen Leute lassen sich nicht mehr so einfach lenken wie früher.« Hanns warf ihr einen warnenden Blick zu. »Solange unsere Tochter ihre Füße unter meinen Tisch stellt, entscheide immer noch ich, mit wem sie Umgang hat. Und Peter ist der Richtige für sie.« Maria seufzte nur. »Ich habe übrigens vor, gleich das neue Projekt bekanntzugeben «, wechselte Hanns nun abrupt das Thema. »Ich will, dass du dabei bist, sollte es Rechtsfragen hierzu geben«, erklärte er Klaus Schröder gegenüber. »Das wird das größte Ding, was wir je gemacht haben.« »Bitte, Hanns, nicht«, wandte Maria nun eilig ein. »Du kennst meine Ansicht hierzu, und ich habe Klaus auch schon darauf angesprochen. Ich denke, nun – wie soll ich es sagen?« Sie sah hilfesuchend zum Anwalt hinüber. »Meinst du nicht, dass das eine Nummer zu groß für dich ist?« Hanns’ Kopf fuhr herum. Die Wut, die in ihm aufstieg, konnte er kaum mehr im Zaum halten. Was fiel seiner Frau ein, ihn derart vor dem Anwalt bloßzustellen? Kurz musste er sich sammeln, um nicht die Contenance zu verlieren. Er beugte sich zu seiner Frau herunter. »Ich werde gleich dort hineingehen und das Großprojekt verkünden«, zischte er ihr leise, aber bestimmt ins Ohr. »Und du wirst dabei an meiner Seite sein und laut applaudieren und dich begeistert zeigen. Ist das klar?« Er trat etwas zurück, um ihr in die Augen sehen zu können. Ihre Lippen waren nur noch ein schmaler Strich, und jede Farbe schien aus ihrem Gesicht gewichen zu sein. »Komm, Hanns, deine Gäste warten bestimmt schon«, sagte nun Schröder und berührte ihn kurz am Jackett. Hanns fixierte Maria noch einen Moment lang mit den Augen. »In Ordnung«, sagte er und stellte zufrieden fest, dass seine Einschüchterung funktioniert hatte, nahm Marias Hand und legte sie in seine Armbeuge. »Gehen wir hinein und verkünden Großes.«

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Was war 1976 denn alles los?

• In der Bundesrepbulik muss man nun einen Sicherheitsgurt anlegen, die Verordnung tritt am 01.01.1976 in Kraft
• Bei einem Schwangerschaftsabbruch in den ersten drei Monaten nach der Empfängnis wird nun bei ethischer, medizinischer oder sozialer Notlage der Frau Straffreiheit gewäht
• Auf dem Platz des ehemaligen Berliner Stadtschlosses in Ost-Berlin wird der "Palast der Republik" eingeweiht. Das Gebäude ist unter anderem als künftiger Sitz der Volkskammer vorgesehen.
• Die RAF-Terroristin Ulrike Meinhof wird erhängt in ihrer Zelle aufgefunden. Laut Angaben der Gefängnisleitung beging sie Selbstmord. Nach dem Bekanntwerden ihres Todes kommt es im In- und Ausland zu Gewalttätigkeiten und Protestkundgebungen.
• In der Bundesrepublik tritt ein neues Namensrecht in Kraft. Ehepaare können künftig selbst entscheiden, ob sie den Familiennamen des Mannes, der Frau oder einen Doppelnamen annehmen.
• In Bonn beginnt der Zirkus Roncalli seine erste Vorführung. Das von dem Grafiker Bernhard Paul und dem Künstler André Heller gegründete Unternehmen soll die Poesie und Romantik des klassischen Zirkus der Jahrhundertwende wiederbeleben.
• Der Bundestag verabschiedet das neue Eherecht. Danach werden Scheidungen nicht mehr mit der Schuld eines Partners, sondern mit dem Scheitern der Ehe begründet (Zerrüttungsprinzip).
• In West-Berlin wird das erste sogenannte Frauenhaus eröffnet, in dem Frauen Zuflucht finden, denen von Männern Gewalt angetan wurde.
• Der Karstadt-Konzern übernimmt das in finanzielle Bedrängnis geratene Großversandhaus Neckermann.
• Der Bundestag wählt Helmut Schmidt erneut zum Bundeskanzler einer sozial-liberalen Koalition.

Quelle: Lemo - Lebendiges Museum Online; Jahreschronik 1976

Caren Benedikt
© Sonja Inselmann

Caren Benedikt

Caren Benedikt ist das Pseudonym der SPIEGEL-Bestsellerautorin Petra Mattfeldt. Sie liebt den Norden, eine steife Brise und das Reisen an die Orte, über die sie schreibt. Nach einer eher nüchternen Ausbildung zur Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten arbeitete sie als freie Journalistin. Inzwischen ist die Schriftstellerei ihr Hauptberuf, und sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in einem kleinen Ort in der Nähe von Bremen.

Fragen an die Autorin

Wie kamen Sie auf die Idee zu diesem Roman?



Die Grundidee zu diesem Roman lieferte ein Freund von mir, Filmproduzent Andreas Bareiss zusammen mit Regisseur Hansjörg Thurn. Beide waren fasziniert von den 1970er Jahren und der Vielzahl an Umbrüchen in dieser Zeit. Andreas wusste, dass mich solche Gegensätze sehr interessieren. In meiner Grand-Trilogie um die Goldenen Zwanziger zum Beispiel spielen Gegensätzlichkeiten und das Sprengen von Grenzen und Konventionen eine große Rolle. Ich war sofort fasziniert und entwickelte aus der Grundidee um einen Baulöwen im Berlin der 1970er Jahre eine Geschichte, die die politischen und gesellschaftlichen Themen der Zeit aufgreift und sich an mehreren wahren Vorbildern orientiert. Die besten Geschichten sind eben die, die es tatsächlich gegeben hat.

Wie geht es weiter?



Es bleibt spannend! Schon im Herbst 2023 erscheint der zweite Teil der Dilogie: „Club Paradies – Im Licht der Freiheit“. Die Geschichte um die Familie Borchardt und Lea Stern wird zu Ende erzählt. Welche Wege gehen die Figuren, und wie gehen sie mit den Herausforderungen der Zeit um?
Der zweite Teil schließt an die Handlung des ersten an und spielt 1977. Vielen dürfte dieses Jahr etwas sagen: Es ist die Zeit des sogenannten Deutschen Herbsts, der geprägt ist durch mehrere Anschläge der RAF.
Was genau die Familie Borchardt damit zu tun hat, das erfahren Sie im zweiten Teil! Ich freue mich sehr darauf, wenn Sie auch diesen lesen. Viel Spaß und vergnügliche Lesestunden mit meinem „Club Paradies“!

Das Grand Hotel - Die nach den Sternen greifen

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Ein elegantes Hotel an der Ostsee, ein verruchtes Varieté in Berlin, eine starke Frau, die ihren Weg geht, und ein Geheimnis, das alles in Gefahr bringt.

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