Sie haben sich erfolgreich zum "Mein Buchentdecker"-Bereich angemeldet, aber Ihre Anmeldung noch nicht bestätigt. Bitte beachten Sie, dass der E-Mail-Versand bis zu 10 Minuten in Anspruch nehmen kann. Trotzdem keine E-Mail von uns erhalten? Klicken Sie hier, um sich erneut eine E-Mail zusenden zu lassen.
Banner Head

Über "Das rote Adressbuch"

Als kleines Mädchen habe ich viel Zeit mit der Schwester meiner Großmutter verbracht. Sie hieß Doris und blieb ihr Leben lang unverheiratet. Als meine Großmutter sehr jung starb, zog Doris bei meinem Großvater ein und kümmerte sich um ihn und um meinen Vater. Doris liebte es zu backen und zu kochen, und nichts war tröstender als eine Umarmung von ihr. Außerdem erzählte sie wundervolle Geschichten aus ihrer Kindheit und Jugend. Ihre letzten Lebensjahre verbrachte sie allein in ihrer Wohnung. Nach ihrem Tod haben wir ihr Apartment ausgeräumt, und dabei habe ich in einem Bücherregal im Flur ihr Adressbuch gefunden. Es war voller Namen, die ich nicht kannte, die meisten waren durchgestrichen. Daneben hatte sie in zittrigen Buchstaben das Wort TOT geschrieben. Dieser Anblick hat mich so bestürzt, und der Gedanke daran, wie einsam sie zum Schluss gewesen sein musste, machte mich furchtbar traurig. Das hat mich nie richtig losgelassen. Und Jahre später entstand daraus die Idee für „Das rote Adressbuch“. Die echte Doris hat allerdings ein nicht ganz so bewegtes und spannendes Leben gehabt wie meine Romanfigur.

Noch ein zweites Mitglied aus meiner Verwandtschaft war für mich eine große Inspirationsquelle. Der Onkel meines Großvaters mütterlicherseits war der Künstler Gösta Adrian-Nilsson, bekannt als GAN. Über ihn wurde in meiner Kindheit viel gesprochen. Meine Mutter ist ihm nur ein paarmal begegnet, aber sie erinnerte sich genau an die Wohnung in der Bastugatan in Stockholm, in der sich die Gemälde an der Wand stapelten und in der es stark nach Terpentin roch. Der Wert seiner Bilder stieg im Laufe der Jahre, und es war immer die Rede von einer Haushälterin, die alles geerbt hatte. Wir haben nie einen Namen erfahren, es hieß immer nur „die Haushälterin“. Ich habe mir oft ausgemalt, wer sie gewesen sein mag. Bis heute aber weiß ich es nicht. Darum habe ich einfach beschlossen, es mir auszudenken, und habe die Begegnung von Doris und Gösta auf einem der Feste der französischen Madame inszeniert. Daraus hat sich dann die ganze Geschichte entwickelt.

Wie es sich anfühlt, als junges Mädchen in die große weite Welt katapultiert zu werden, damit kenne ich mich aus. Ich war noch sehr jung, als ich als Fotomodell entdeckt wurde. Dreizehn Jahre alt. Wenige Jahre später wurde ich in den Ferien alleine nach Paris geschickt. Ich kann mich heute noch an das Gefühl erinnern, als ich zum ersten Mal in Charles de Gaulle aus dem Flieger stieg und die Rolltreppe in die Eingangshalle hinunterfuhr. Ich sprach damals nur wenig Englisch und hatte erst eine Auslandsreise unternommen. Ich wurde von der Agentur abgeholt und wohnte am Anfang auch bei der Agenturinhaberin zuhause. Mit einem anderen Model teilte ich ein Schlafsofa, und wir bekamen nach sechs Uhr abends nichts mehr zu essen. Das andere Mädchen sprach nur Französisch, darum konnten wir uns noch nicht einmal unterhalten. Und ich war immer hungrig. Später tauschte ich Paris gegen Mailand ein, und Anfang Zwanzig habe ich sogar mein Glück in New York probiert. Dort wurde ich aber auch, genau wie Doris im Buch, von einer Agentur zurückgewiesen. Sie verlangten von mir eine wochenlange Nulldiät, um noch mehr an Gewicht zu verlieren. Von streichholzdünn zu anorektisch. Da wollte ich nicht mehr mitmachen. Heulend stieg ich in den erstbesten Flieger nach Hause und habe angefangen zu studieren. Das war das Ende meiner Modelkarriere.

Seit Doris’ Tod habe ich mir viele Gedanken über das Alter und die Einsamkeit gemacht. Darüber, dass wir die Lebenserfahrung der Alten nicht mehr wertschätzen. Dass wir aufhören, ihnen Fragen zu stellen. Als ich das Adressbuch fand, bekam ich ein furchtbar schlechtes Gewissen, dass ich Doris am Ende ihres Lebens viel zu selten besucht habe. Viele Leser meines Buches haben mir erzählt, dass sie der Roman dazu ermutigt hat, mit ihren älteren Verwandten wieder mehr ins Gespräch zu kommen. Das finde ich großartig, und es macht mich glücklich. Wenn Doris wüsste, was für eine fantastische Reise sie ermöglicht hat ...

Sofia Lundberg, Stockholm, April 2018

Das rote Adressbuch

€ 20,00 [D] inkl. MwSt. | € 20,60 [A] | CHF 27,90* (* empf. VK-Preis)
In der Buchhandlung oder hier bestellen
Weiter im Katalog: Zur Buchinfo

GENRE