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Bill Bryson - Shakespeare

Bill Bryson, der witzigste Reise- und Sachbuchschriftsteller der Welt bei Goldmann

Bill Brysons Bericht aus dem Reich der Shakespeare-Forschung

Rezension von Roland Große Holtforth

Gibt es denn über Shakespeare überhaupt noch irgendetwas Interessantes zu sagen? Wurden Leben und Werk dieses Genies nicht schon so gründlich erforscht, dass man sich als Autor besser anderen Gestalten der Literaturgeschichte widmet? Bill Bryson räumt ein, dass diese Fragen berechtigt sind, man aber im Falle Shakespeares eines nicht außer Acht lassen dürfe: die geradezu pathologische Anzahl von Spekulationen, Erfindungen und Fälschungen, die die so genannte Shakespeare-Forschung hervorgebracht hat. Wie in Shakespeares Sommernachtstraum sind Täuschung und Wirklichkeit, Lüge und Wahrheit in diesem Wald aus Sekundärliteratur kaum zu unterscheiden. So hat sich Bryson für sein Buch das durchaus ehrgeizige Ziel gesetzt, „herauszufinden, wie viel über Shakespeare wir nun wirklich aus den Dokumenten in Erfahrung bringen können“ – um trocken zu ergänzen: „Was natürlich einer der Gründe ist, warum es so dünn ist.“

Jenseits von Eitelkeit und Hybris
Bill Bryson, laut The Times „der witzigste Reiseschriftsteller auf Erden“, folgt bei seiner Expedition chronologisch dem Lauf von Shakespeares Leben – so weit er bekannt ist, versteht sich. Als Leser fasst man schnell Vertrauen zu diesem Autor. Man spürt, dass sich Bryson intensiv mit Forschung und Wissenschaftlern auseinandergesetzt hat und in der Lage ist, seinem Weg unbeirrt durch Eitelkeit und Hybris zu folgen. Witz und Geist Brysons verbinden sich mit seiner Verehrung für den großen Dichter. Denn auch für Bryson ist Shakespeare DAS Genie der englischen Sprache und Literatur – und gerade deshalb verbietet es sich für ihn, ein weiteres spekulatives, geschwätziges oder gar langweiliges Stück Sekundärliteratur zu verfassen.

Der Kampf ums Überleben
Vielleicht die größte Qualität seines Buchs ist die Art und Weise, in der Bryson Shakespeares Welt, das England des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts, vor dem inneren Auge des Lesers erstehen lässt. Die – zahlreichen – Lebensabschnitte, zu denen über Shakespeares Person nichts oder fast nichts vorliegt, werden lebendig durch Brysons ebenso witzige wie einfühlsame Schilderungen einer Welt, die alles andere als gemütlich war. Pestepidemien und katastrophale hygienische Bedingungen, Armut und Hunger, Bespitzelung und Staatsterror, Verbrechen und drakonische Strafen – man begreift bald, was Bryson meint, wenn er schreibt: „In gewisser Weise war William Shakespeares größte Lebensleistung weniger, Hamlet und die Sonette zu schreiben, als vielmehr das schlichte Überstehen seines ersten Lebensjahres.“

London
„Wohl kaum ein Ort in der Geschichte war reizvoller und zugleich tödlicher als London im 16. Jahrhundert.“ Man spürt, riecht und schmeckt sie regelrecht, die Vitalität dieser sich rasant entwickelnden Metropole, die Shakespeare als junger Mann kennenlernte. Ehrwürdige Kirchen wurden als Marktplätze und Feuerstellen genutzt. Die Theater stanken nach verbranntem Tierfett, weil sie in „Industriegebieten“ am Rande der Stadt angesiedelt wurden. Es wimmelte nur so von Krüppeln, denen Krieg und Krankheit übel mitgespielt hatten. Und doch: Wohl nie zuvor und nie danach in der europäischen Geschichte fand ein Schauspieler und Theaterautor wie Shakespeare bessere Bedingungen vor, um sein Genie zu entfalten. Die Stadt pulsierte, die Menschen liebten das Theater, und die englische Sprache, das Lateinische immer stärker aus dem Alltag verdrängend, erlebte die vielleicht rasanteste Entwicklungsphase ihrer gesamten Geschichte.

Dünne Quellenlage
Gesicherte Informationen zu Shakespeares Leben findet man vor allem in den wenigen überlieferten amtlichen Dokumenten. Wann er getauft wurde, in einen Prozess verwickelt war, um eine Heiratserlaubnis ersuchte, wegen unterlassener Steuerzahlungen angeschrieben wurde oder ein Haus kaufte – das sind die Highlights der seriösen Shakespeare-Forschung.

Etwas besser sieht es da schon in Bezug auf sein Künstlerleben aus. So gibt es z.B. vom Globe Theatre eine zeitgenössische Zeichnung, und auch Aufführungen von Shakespeares Schauspieltruppe am königlichen Hofe wurden dokumentiert. Das eigentliche Wunder der Überlieferung tritt vor diesem Hintergrund umso klarer hervor: dass wir im Besitz so vieler Werke Shakespeares sind. Die allermeisten Theaterstücke anderer Autoren aus Shakespeares Zeit sind komplett und für immer verschollen.

Forscherirrsinn
Mit welch hohem Ethos Bryson sich, bei allem Humor, seiner Aufgabe widmete, zeigt sein Umgang mit den Auswüchsen der Shakespeare-Forschung. Kein gutes, ja überhaupt kein Haar lässt er etwa an all den Spekulationen, die einem großen Unbekannten – etwa Francis Bacon – die Autorschaft an Shakespeares Werken zuschreiben wollen. Gnadenlos zerpflückt er die meist von Selbstüberschätzung und manchmal von manifestem Irrsinn bestimmten „Theorien“, die Shakespeare in allen möglichen Gestalten erscheinen lassen. Selbst große Autoren wie Sigmund Freud bekommen hier ihr Fett weg. Denn zumindest eines steht für Bryson am Ende seiner Expedition fest: „Nur ein Mann hatte das Talent und war in der Lage, uns solch unvergleichliche Werke zu schenken, und der Mann war William Shakespeare aus Stratford – wer immer er war.“

Roland Große Holtforth
(Literaturtest)
Berlin, November 2008