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Andrea von Treuenfeld: Erben des Holocaust

Vorwort

Andrea von Treuenfeld
© privat
Sie mussten monatelang in einem Erdloch ausharren oder jahrelang ständig neue Verstecke finden – immer in der das gesamte Handeln bestimmenden Angst, entdeckt und getötet zu werden. Um der Vernichtung zu entgehen, flohen sie bis an die persische Grenze oder traten in die russische Rote Armee ein. Sie durchlitten Ghettos, Arbeitslager und Auschwitz.

Mit einem Neuanfang in München oder Berlin, Tel Aviv oder New York und der Gründung einer Familie versuchten sie, das Erlebte zu verdrängen. Doch die Schatten der Vergangenheit begleiteten sie – und prägten die Kindheit der Zweiten Generation.

Was bedeutete es für die Nachgeborenen, in dieser Atmosphäre aufzuwachsen? Wie war es, wenn Schweigen herrschte, nicht gesprochen wurde über das, was allgegenwärtig war, aber nicht benannt wurde? »Vielleicht hätte ich mehr fragen müssen«, haben einige der von mir für dieses Buch interviewten Söhne und Töchter von Überlebenden gesagt. Aber der Respekt vor der Trauer der Eltern hat auch sie verstummen lassen. Viele von ihnen haben erst spät, wenn überhaupt, die Geschichte ihrer Mutter oder ihres Vaters erfahren. Weil diese nicht sprechen, das Unsagbare nicht in Worte fassen konnten. Vor allem aber, weil sie ihre Kinder schützen wollten. Und so blieb vieles ungesagt.

Dennoch haben die Überlebenden ihre aus dem Holocaust resultierenden Traumata an die nächste Generation weitergegeben, was sogar festzustellen ist anhand der bei Eltern und Kindern identischen Veränderungen bestimmter Gene. Ob durch Vererbung oder vorgelebte Verhaltensmuster, ob nonverbal oder ständig thematisiert (auch das gab es, wenn auch viel seltener) – die Zeit der Demütigung, Verfolgung und Todesangst blieb in diesen Familien präsent. Unterschiedlich jedoch war die Wahrnehmung und der Umgang der Zweiten Generation mit dem, was den Eltern widerfahren war.

Ebenso unterschiedlich war auch die eigene Wahrnehmung, als jüdisches Kind in der Nachkriegszeit in Deutschland oder Österreich aufzuwachsen. Juden, und besonders jüdische Kinder, waren hier wie dort nicht nur eine Seltenheit, sie waren auch den noch immer existierenden Ressentiments ausgesetzt. Während den einen weder diese Tatsache bewusst war noch, dass ihr familiäres Umfeld nicht dem der Nachbarskinder entsprach, hatten andere das starke Gefühl, »im Feindesland der Täter« zu leben.

Die Ambivalenz setzte sich fort, zumindest phasenweise, in der Frage: bleiben oder gehen? Der vielzitierte Begriff des »gepackten Koffers«, der in der Generation der dem Grauen Entkommenen noch als Synonym stand für eine nur befristete Zeitspanne in dem Land, das sie noch wenige Jahre zuvor auslöschen wollte, war für den überwiegenden Teil der nach dem Krieg Geborenen irgendwann kein Thema mehr. Doch ihre Bewertung des Ist-Zustandes ist geprägt durch die Erlebnisse und Erinnerungen ihrer Eltern.

Der Holocaust bleibt, obwohl sie ihn nicht selbst erlebt haben, ein wesentliches Element der Biografie dieser Menschen, denen ich dafür danke, dass sie mir ihr Vertrauen schenkten, indem sie sehr Persönliches preisgaben. Ihre Geschichten vermitteln, jede auf ihre Weise, aussagekräftige Bilder, denen nichts hinzuzufügen ist. Aus diesem Grund, und um die Authentizität zu wahren, ist das Gesagte weitestgehend wörtlich beibehalten worden.

Andrea von Treuenfeld