»Bewegend, brutal, voller Schönheit und Lakonie.
Ein überwältigendes Epos von einem der scharfsinnigsten Autoren unserer Zeit.«


Carlos Fuentes

Àlvaro Enrigue - © Zony Maya
© Zony Maya

Álvaro Enrigue, geboren 1969 in Guadalajara, studierte in Mexico City Kommunikationswissenschaften, lehrte anschließend Literatur des 20. Jahrhunderts und promovierte an der University of Maryland. Seit seinem 1996 erschienen Debüt »La muerte de un instalador« gehört er zu den wichtigsten iberoamerikanischen Gegenwartsautoren und gilt als der bedeutendste mexikanische Autor seiner Generation. Seine Werke sind preisgekrönt und wurden in viele Sprachen übersetzt. »Aufschlag Caravaggio« (Blessing, 2015), war der erste Roman des Autors, der auf Deutsch erschienen ist. Álvaro Enrigue lebt in New York.

Das Buch

Janos, Mexiko, 1835: Als Apachen eine junge Witwe entführen, bekommt Leutnant Zuloaga den Auftrag, nach ihr zu suchen. In seinem Gefolge reiten unter anderem eine scharfschießende Nonne, ein alter Tanzlehrer und zwei ehemalige Gefangene aus dem Stamm der Yaqui. Als sie die Frau schließlich finden, machen sie eine verblüffende Entdeckung.

New York, 2017: Ein mexikanischer Schriftsteller hadert mit der amerikanischen Politik. Aus Angst, nach einem Besuch in seiner Heimat nicht mehr einreisen zu dürfen, verbringt er den Familienurlaub im Grenzgebiet zu Mexiko, wo sich einst Géronimo, der letzte Häuptling der Apachen, ergeben hat. Die Geschichte Géronimos wird dem Schriftsteller zur Parabel für seine eigene, die Vergangenheit Amerikas zum Spiegel seiner Gegenwart.

»Jetzt ergebe ich mich, und das ist alles« schildert die wahrscheinlich brutalste Landnahme in der amerikanischen Geschichte – der Völkermord an den Apachen - und verbindet dieses historische Ereignis gekonnt mit den aktuellen, dringlichen, global relevanten Themen unserer Zeit: Enrigues Roman ist eine universelle Geschichte über Würde, den Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung, die universelle Erfahrung von Verlust, Flucht und Vertreibung, sowie eine Absage an den Nationalismus und eine Hommage an Widerstand und Unbeugsamkeit.

Der unverwechselbare Sound und das atemberaubende Tempo, die differenziert gezeichneten, nahbaren und schlitzohrigen Charaktere, die Überwindung von Genregrenzen, der spannende Plot und nicht zuletzt die politische Aktualität und Klarsicht machen diesen meisterhaften Roman zu einem packenden Lesevergnügen.

Der Autor über das Buch

»Enrigues Markenzeichen sind die spitze Feder und die raffinierte, hochintelligente Erzählweise.«
Revista de Libros

»Ein versierter und erfahrener Schriftsteller.«
Mario Vargas Llosa

»Ein überwältigender Roman.«
La Razón

»Álvaro Enrigues Prosa ist geprägt von grenzenlosem Erfindungsreichtum.«
The Financial Times

»Álvaro Enrigue gehört zu den wichtigsten Autoren der zeitgenössischen hispanoamerikanischen Literatur.«
Leer

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Àlvaro Enrigue: Jetzt ergebe ich mich, und das ist alles (Blessing)

Leseprobe

Am Anfang treten die Dinge in Erscheinung. Schreiben ist eine herausfordernde Geste: Wo nichts war, setzt jemand etwas hin, und es wird für uns sichtbar. Zum Beispiel die Prärie, ein endloses Gebiet mit hohen Gräsern. Hier gibt es keine Bäume  der Wind, die bleierne Hitze des Sommers, die Schneestürme des Winters töten sie. In die Mitte der Ebene muss man ein paar spanische Missionare und eine Kirche setzen, dann ein paar Siedler, ein Dorf mit vier Straßen. Jemand dachte, das Dorf stelle etwas dar, und gab ihm einen Namen: Janos. Vielleicht weil es wie Janus zwei Gesichter hatte. Das eine blickte auf das spanische Kolonialreich, zu einem seiner Ränder, dorthin, wo es sich allmählich aufzulösen beginnt. Das andere auf die Wüste und ihre Kakteen: Die Apachería.

Irgendwann erwies sich der Ort dann als strategisch günstig: Er besaß artesische Brunnen. Man schickte ein paar Soldaten hin, errichtete ein Fort, um die ursprünglichen Bewohner der Gegend einzuschüchtern und den Siedlern, die schon keine Spanier mehr waren, sondern Kreolen, Schwarze, Keralesen, Lombarden, Chinesen und Iren, ein Gefühl der Sicherheit zu geben. Es kamen nur wenige Einwanderer, also heiratete man Indianerinnen. Ihre Kinder waren bereits etwas anderes: Menschen aus Chihuahua, Mexikaner, was auch immer. Später meinte jemand anders, die Viehzüchter, die Händler, der Bäckers und die Lehrerin müssten den Ort zum Florieren bringen, und setzte ein Rathaus hin, das, obwohl mittendrin, aussah, als stünde es am Rand, denn Janos war so klein, dass es keine Peripherie hatte. Oder es hatte eine, doch die zählte nicht und keiner erinnert sich daran: Es waren Indianerdörfer, die goteras, manchmal auch rancherías genannt wurden.

In den Siedlungen der Gegend lebten friedliche Gruppen von Janero, Concho und gelegentlich Opata, so genannte zivilisierte Indianer, da sie keine Nomaden mehr waren und sich der europäischen Wirtschaftsweise angepasst hatten. Hinter den Häusern der Kreolen und Mestizen in den Dörfern Chihuahuas, Sonoras und Nuevo Méxicos und sogar hinter den Goteras, die die Dörfer ernährten und von diesen ernährt wurden, lebten die kriegerischen Indianer, vor allem Apachen, Tarahumara und Yaqui, die untereinander verfeindet waren und deren Auseinandersetzungen die bescheidene Entwicklung der Siedlungen erst ermöglicht hatten — waren sie es doch, die die Komantschen vertrieben hatten, diese grausamen Herren der Wüste seit unvordenklichen Zeiten, die jetzt in einem Reservat jenseits von Paso del Norte lebten. Janos existiert noch immer. Mit seiner Kirche und seinem Rathaus, aber ohne die Goteras. Diesen Krieg, den Krieg gegen sämtliche Apachen-Stämme, haben wir gewonnen, auch wenn wir uns nicht daran erinnern wollen, weil wir uns schämen. Janos liegt heute in Chihuahua, Mexiko.

Diese Geschichte beginnt in den Prärien, die das Dorf bedrängen. Einem so gottverlassenen Ort, dass es dort noch immer Bisons gibt. Man muss sich die blauen Berge in der Ferne vorstellen, die losen Steinmauern zwischen Rinderfarmen, wo das Vieh alle paar Jahre verdurstet, weil wieder einmal Dürre herrscht. Die Klapperschlangen, die wilden Ziegen, die Pekaris, die Zahnwachteln, die gelben Skorpione, groß wie Kinderhände, die Kojoten – sie alle im Chaparral aus Wacholdersträuchern, Akazien und zerzausten, von Zeit zu Zeit knospenden Yuccas behaust. Und plötzlich, in diesem so kargen Tal: ein Pfad und der Rücken einer rennenden Frau, einer unbeugsamen, von Kopf bis Fuß schwarz gekleideten Frau. Sie blickt sich um.

Ohne stehen zu bleiben, öffnet Camila den Brustlatz ihres schwarzen Kleides, zieht die Arme aus den Ärmeln, reißt sich das Haarband vom Kopf und lässt das Kleid nach unten gleiten, während sie mit den großen Schritten einer Stute dahineilt. Sie stolpert, fällt aber nicht, rennt weiter. Sie spürt das Baumwollmieder, das sie zum Glück nicht gestärkt hat. Ohne langsamer zu werden, nestelt sie an ihrem Rücken herum und schnürt das Mieder auf. Sie streift die Träger des Unterkleids ab und zieht sich das Korsett über den Kopf, lässt es an einem Strauch hängen, zieht sich die Träger wieder über die Schultern. Sie rennt weiter. Sie hat nur noch das braune Unterkleid an, das mit den ausgebrannten Farben der steinharten Herbstvegetation zu verschmelzen scheint. Sie rennt. Sie verliert wertvolle Zeit, als sie sich bückt, um die Stiefel auszuziehen, doch barfuß, ohne das Kleid, kommt sie schneller voran. Das Unterkleid klebt ihr am Hintern, vor Angst hat sie sich eingenässt. Sie rennt weiter, Kiefer- und Halsmuskeln angespannt, die Schultern steif wie ein Brett. Wenn sie sich klein macht und stillhält, kann sie sich gut im Gestrüpp verstecken, denkt sie. Aber noch kann sie ein Stück weiterlaufen, fliehen, sich retten, wie sie es schon so viele Male getan hat…

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