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John Kenney - AMERICAN DREAMER

AMERICAN DREAMER - Interview mit Autor John Kenney

Andy Borowitz interviewt John Kenney, Autor von „American Dreamer“

© Rick Knief, rknief@mac.com
Sie haben jahrelang in der Werbebranche gearbeitet. Warum haben Sie nun auch Ihren ersten Roman dort angesiedelt? Ist diese Welt tatsächlich so komisch – und bejammernswert – wie in Ihrem Buch?

Es ist ein Klischee, aber es heißt ja immer, man soll über das schreiben, was man kennt. Für mich war das entweder die Werbebranche oder die Welt eines Hilfskellners. Und die Werbebranche scheint, vor allem in der Zeit nach Mad Men, eine besondere Faszination zu besitzen. Die Leute finden sie rasant und aufregend. Das kann sie auch tatsächlich sein. Aber der normale Alltag ist viel langweiliger als man denkt, vor allem für kreative Menschen, die ihre Tage damit verbringen, in einem Büro zu sitzen und sich etwas einfallen zu lassen, was meistens nicht sonderlich genial ist – zumindest meiner Erfahrung nach. Man ist deswegen noch nicht bedauernswert, aber der Job kann dein Durchhaltevermögen auf eine harte Probe stellen. Es kommt schon vor, dass man seine Arbeit von außen betrachtet und sich fragt, ob man den Werbespot zu dem neuen natriumfreien Ketchup wirklich so furchtbar ernst nehmen muss. Trotzdem ziehe ich diesen Job dem eines Hilfskellners vor.


Mit welcher Vorstellung über die Werbebranche liegt man denn am weitesten daneben, und warum beschäftigen Sie sich als Romanautor mit ihr?

Das größte Missverständnis ist sicher, diese Welt für wahnsinnig cool, sexy und spannend zu halten. Das kann sie zwar sein, wenn man für einen großen Kunden wie Nike, Apple oder Coca Cola arbeitet. Aber die meisten Kreativen – die Texter und Werbeleiter, die Ideen entwickeln müssen – haben viel kleinere Kunden und ein wesentlich bescheideneres Budget. Aber sie sind mit demselben Engagement bei der Sache, und sie sind genauso gut. Und ehrlich gesagt ist es verdammt schwer, eine wirklich gute Kampagne für Oreos zu entwickeln. Oder für Windeln, wie im Fall von Fin, der Hauptfigur in meinem Roman. Er ist kein Überflieger, aber erfolgreiche Figuren interessieren mich auch nicht sonderlich. Mir sind Leute, die kämpfen müssen, lieber. Ich mag beschädigte Charaktere, Menschen, die ihren Weg mühsam finden müssen. Das alles hat natürlich rein nichts mit meinen eigenen Erfahrungen als Werbetexter ohne Überfliegerqualitäten zu tun ...


Das bringt mich zu der unvermeidlichen Frage: Wer ist Fin, und wie autobiographisch ist diese Figur?

Fin ähnelt vielen Leuten, die ich in meinen Job getroffen habe: clever, witzig, charmant. Jungs, mit denen man gern ein Bier trinken ging. Er ist viel klüger als ich und sicher auch viel orientierungsloser, obwohl ich mich als Single in New York weiß Gott auch oft genug verloren gefühlt habe. Wenn es wirklich eine Verbindung zwischen uns gibt, dann läge sie nicht nur in dem beruflichen Umfeld, sondern in dem Verlust der Mutter. Als meine Mutter starb, war ich noch sehr jung. Es war ein einschneidender Moment in meinem Leben. Wie einschneidend, das wurde mir erst später bewusst. Eigentlich wurde alles davon berührt. Fin teilt diese Erfahrung. Aber ich glaube, viele von uns tragen unsichtbare Wunden, einen dauerhaften Schmerz mit sich herum. Meine Lektorin hat mir ein Zitat aus einem Brief von Ted Hughes an seinen Sohn geschickt. Hinter der Fassade jedes äußerlich noch so perfekt funktionierenden Erwachsenen verbirgt sich dessen Kindheit, behutsam festgehalten wie ein Glas Wasser, dessen Inhalt bereits über den Rand ragt. Das beschreibt Fin perfekt.


In Ihrem Buch schreiben Sie, dass uns die Geschichten definieren, die wir uns selbst erzählen. Was bewegt Fin schließlich dazu, sich selbst die Wahrheit zu erzählen?

Der Auslöser ist wohl der Tod seines Vaters. Fin hat so lange an seiner Wut und seinem Schmerz festgehalten, dass es ihn selbst überrascht, wie betroffen ihn der Tod seines Vaters macht, und was er durch sein eigenes Verhalten eigentlich verloren hat. Es ist ja immer schwer, seine Eltern als ganz normale Leute zu sehen. Wir erwarten so viel von ihnen. Fin kann seinen Vater am Ende als einen Mann mit Fehlern, aber auch mit eigenen Verletzungen sehen. Er kann ihm verzeihen und um den Verlust eines gemeinsamen Lebens trauern, das sie nie hatten. Er erkennt, wohin es führt, wenn man sich seinen traumatischen Erfahrungen und seinem Schmerz nicht stellt. Und das will er nicht mehr. Er sieht seine eigene Sterblichkeit, und sie macht ihm Angst. Also beschließt er zu leben.


Warum begegnen wir Fin an diesem speziellen Punkt in seinem Leben?

Weil er ganz unten ist. Er hat einen Job, den er nicht mehr liebt. Er hat kürzlich seine Hochzeit platzen lassen. Er hat seit Jahren keinen Kontakt mehr zu seinen Geschwistern, und sein Vater liegt im Sterben. Er weiß nicht, wie er mit Phoebe umgehen soll, in die er sich offensichtlich verliebt hat. Ich glaube, für uns alle kommt irgendwann der Moment, wo wir erkennen, dass die Zukunft nicht endlos ist. Für Fin ist dieser Moment kurz vor seinem vierzigsten Geburtstag gekommen, und er ist selbst davon überrascht, welchen Weg sein Leben eingeschlagen hat. Er sieht, dass sich eine Tür langsam schließt, und wenn er jetzt nicht schnell handelt, ist er verloren. Er hat lange versucht, sich etwas vorzulügen, weil die Wahrheit – also das, was er gesehen und erlebt hat, seine Angst, jemanden zu lieben, der ihn verlassen könnte – einfach zu schmerzhaft war. Jetzt versteht er, dass man zum Leben auch Mut braucht. Den Mut, sich selbst gegenüber ehrlich zu sein.