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Fragen an Jarka Kubsova zu ihrem Roman »Bergland«

Anfang 2019 packten Sie Ihre Koffer. Sie verließen Hamburg, wo Sie eigentlich leben, und zogen mit Ihrem Sohn für sieben Monate auf einen Hof in den Bergen. Was hatte Sie zu diesem Entschluss bewogen?

Bei meinem ersten Aufenthalt in einem Hochtal in Südtirol einige Jahre zuvor, hatten Landschaft und Menschen einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. Und mehr noch: Sie hatten Fragen aufgeworfen, mit denen ich mich gerne weiter beschäftigen wollte. Ich entwickelte das starke Bedürfnis, dort mal längere Zeit zu verbringen. Gleichzeitig war in mir der Wunsch gewachsen, gemeinsam mit meinem Sohn noch vor seiner Einschulung an einem Ort zu leben, der inmitten der Natur liegt und ganz anders ist als unser Lebensmittelpunkt in Hamburg. Das passte einfach alles so gut zusammen, dass ich gar nicht anders konnte, als beides zu verwirklichen und mich auf den Weg in eben jenes Hochtal zu machen.

Was für Fragen waren das, die Sie nicht losließen? Was fasziniert Sie so an der Bergwelt?


Die Anziehungskraft und Erhabenheit der Berge braucht man vermutlich niemandem zu beschreiben. Berge sind schön und spektakulär. Aber dort, wo zusätzlich eine Auseinandersetzung des Menschen mit ihnen deutlich ist, finde ich sie besonders spannend. Manche Bergflanken sind bis oben hin bewohnt, es gibt Höfe in so steilen Lagen, dass man fast Angst bekommt, sie könnten gleich herunterfallen. Es ist augenscheinlich, dass sie schwer erreichbar und noch schwerer zu bewirtschaften sind. Dennoch wird auf vielen eine vitale Landwirtschaft betrieben. Und mich ließ nicht los: Wieso sind sie da oben? Was hält sie dort bis heute? Was ist dieser Leim, der die Menschen an diese Höfe bindet, während bei uns in Norddeutschland – auf leichter zu bewirtschaftenden Ebenen – anhaltendes Höfesterben herrscht. Letztendlich ist die Beantwortung dieser Fragen dann auch das zentrale Motiv des Buches geworden.

Hatten Sie schon vorher die Ahnung, dort könnte eine Geschichte auf Sie warten?

Es fühlte sich an wie bei meiner Arbeit als Journalistin, ich habe gespürt: Dort steckt eine Geschichte, und wenn ich Glück habe, wenn ich mich sorgsam genug umsehe, dann wird sie sich offenbaren. Andernfalls hätte ich einfach eine schöne Zeit mit meinem Sohn dort verbracht, was ja ebenfalls ein wichtiges Anliegen dieser Reise war.

Können Sie uns etwas mehr über den Ort erzählen, an dem Sie gelebt haben?

Der Ort heißt Ultental, das ist ein kleines Seitental des Meraner Talkessels. Es ist waldreich, es gibt unzählige Almen und Wildbäche, am ehesten lässt es sich vielleicht als wildromantisch bezeichnen. Im Vergleich zu anderen Orten ist es touristisch eher sanft erschlossen, die Zahl der Gästebetten ist begrenzt, wirtschaftlich dominiert nach wie vor die Berglandwirtschaft. Viele der Höfe sind Jahrhunderte alt und befinden sich in luftigen Höhen. Auch der Hof, auf dem wir unsere Zeit verbracht haben, liegt auf über 1.500 Metern Höhe, und es leben dort drei Generationen miteinander. Außerdem knapp 20 Kühe, womit der Hof schon zu den größeren im Ort zählt.

Wie wurden Sie von der Familie, bei der Sie mit Ihrem Sohn gelebt haben, und von den anderen Menschen vor Ort aufgenommen?

Wir hätten es nicht besser haben können. Wir wurden sehr herzlich aufgenommen, man hat uns eingebunden, und bald waren wir fester Bestandteil auf dem Hof. Mein Sohn war ständig mit einem Haufen anderer Kinder draußen unterwegs. Abends waren wir mit im Stall zum Helfen und Spielen. Außerhalb der Familie war es für die Menschen im Ort oft eine Überraschung, uns auch nach den ein, zwei Wochen, die Gäste normalerweise bleiben, noch zu sehen. Viele fragten dann interessiert nach den Gründen. Irgendwann wussten die meisten Bescheid, und unsere Anwesenheit wurde normal.

Sie haben viel darüber erfahren, was die Menschen wirklich bewegt. Wie ist dieses Vertrauen, sich Ihnen zu öffnen, entstanden?

Tatsächlich hatte ich am meisten Angst davor, dass man nicht mit mir reden würde, dass es schwer werden könnte, überhaupt ins Gespräch zu kommen. Mit ein, zwei Wochen vor Ort wäre das nicht machbar gewesen. Dadurch, dass ich Zeit hatte, habe ich gar nicht viel insistiert und die Menschen gelöchert, sondern es kommen lassen. Geholfen hat letztendlich auch, dass ich gerne mal bei der Arbeit mit angepackt habe. Während der Stallarbeit, beim Heuen oder Holz machen, haben sich für mich unerwartet die besten Gespräche ergeben. Mein Eindruck war, dass das miteinander Arbeiten verbindet.

Gab es auch Arbeiten, bei denen Sie an Ihre Grenzen gekommen sind?

Die Heuarbeit im Sommer war definitiv anstrengender, als ich es mir je hätte vorstellen können. Dass es Kondition und Kraft erfordern würde, war mir klar. Aber wie schmerzhaft es nach einiger Zeit wird, über Stunden in steilem Gelände zu arbeiten, damit hatte ich nicht gerechnet. Dazu kommt die stechende Sonne, Insekten, die überall hineinkrabbeln. Und dennoch waren diese arbeitsreichen Tage am Ende mit die schönsten. Wenn man hinterher – ein Dutzend Erwachsener, ein Dutzend Kinder – beisammen bei einer Marende, also einer Südtiroler Brotzeit, sitzt, mit all den Blessuren und schmerzenden Gelenken, und sich darüber freut, gemeinsam so viel geschafft zu haben, ist es ein wahnsinnig schönes und verbindendes Gefühl.

Verglichen mit einer Großstadt, stößt man in einer abgeschiedenen ländlichen Bergregion auf Lebensverhältnisse, die ursprünglich wirken. Hat sich dieser erste Eindruck für Sie bestätigt?

Man kann heutzutage Landwirt sein, ohne jemals Erde in die Hand zu nehmen. Das gilt vor allem in den Ebenen, wo der Einsatz von Maschinen ganz selbstverständlich und nicht mehr wegzudenken ist. Aber in den Bergen gibt es Steillagen, da ist maschineller Einsatz bis heute kaum oder gar nicht möglich und vieles erfolgt noch in Handarbeit, mit den bewährten Arbeitsgeräten – ursprünglich also, wenn man so will. Ich musste allerdings lernen, dass viel von dem, was ich für ursprünglich gehalten hatte, so ursprünglich gar nicht ist: Die ausgedehnte Weidewirtschaft etwa, wie ich sie jetzt kennengelernt habe, ist im Grunde noch relativ jung. Zuvor hatte im Tal – zum Teil noch bis in die 70er Jahre – der Ackerbau dominiert. Entsprechend anders hatte die Landschaft ausgesehen: mit vielen Terrassen, blühenden Flachs-, Mohn- und Buchweizenfeldern. Das bewirtschaftete Land war viel fragmentierter und abwechslungsreicher, auch waren viel mehr Getreidemühlen und wasserführende Waale sichtbar, das sind die landschaftstypischen Kanäle zur Bewässerung von Feldern und Wiesen. Und vor dieser Zeit war es wieder anders. Landwirtschaft ist viel dynamischer, als wir denken. Beinahe jede Generation muss sich in irgendeiner Art anpassen und neue Wege finden, um zu bestehen. Das spiegelt sich auch in den Landschaften wider.

Der Wandel, der sich in der Entwicklung der Landwirtschaft zeigt, ist eines der zentralen Themen Ihres Romans. Ein weiteres ist die Rolle der Frau. In welchen Aspekten hat sich für die Frauen in den letzten hundert Jahren dort etwas Entscheidendes geändert?

Ich empfinde einen tiefen Respekt vor der Leistung der Frauen auf diesen Höfen. Das soll nicht die Leistung der Männer schmälern, aber niemand wird wohl bestreiten, dass es selbstverständlich war, dass Frauen Männerarbeiten wie Heuen, Ackern oder Umstechen zusätzlich zu Frauenaufgaben wie Kinder – derer es meistens sehr viele gab –, Küche und Wäsche übernahmen. Umgekehrt mischten sich Männer in Frauenbereiche eher nicht ein. Mein Eindruck ist, dass die Frauen trotz ihrer enormen Leistung weitestgehend unsichtbar geblieben sind. Das liegt sicher auch an der enormen Bescheidenheit dieser Menschen, aber eigentlich haben sie ein Denkmal verdient. Ich habe lange bewundernd auf die früheren Zeiten geschaut, die mir besonders mühselig erschienen waren, und ursprünglich wollte ich vor allem diese Ebene behandeln. Aber dann ist mir aufgefallen, dass es auch in der Gegenwart viel Erzählenswertes gibt. Sicher ist auf den Höfen jetzt vieles einfacher als etwa in der Nachkriegszeit, und dennoch haben die Frauen heute ihre eigenen Probleme: ihr Ringen um Eigenständigkeit etwa oder die Wünsche, die sie für ihre Kinder haben, die Mehrfachbelastung durch Hofarbeit und Gästebeherbergung. Das sind zwar andere Herausforderungen als noch vor ein paar Jahrzehnten, aber sie sind erheblich, und sie sind es wert, dass man sie benennt. Deshalb war es mir wichtig, auch eine gegenwärtige Ebene drin zu haben.

„Bergland“ spannt einen Bogen über drei Generationen, in deren Mittelpunkt jeweils eine Hauptfigur steht. Es handelt sich um starke, eigenwillige Charaktere – zwei Frauen und ein Mann –, die vor dem Hintergrund der Verhältnisse ihrer Zeit darum ringen, die Existenz des Hofes zu sichern. Haben Sie Menschen kennengelernt, die Sie zu diesen Charakteren inspirierten?

Ich habe sehr viele bemerkenswerte Menschen kennengelernt, aber ich habe aus niemandem eine Romanfigur gemacht, das wäre mir irgendwie unanständig vorgekommen. Eher habe ich mir Charaktere aus Eigenschaften, Schicksalen und Problemlagen gebastelt, die dann ganz eigene geworden sind, aber genauso auch wirklich hätten existieren können. Wichtig war mir, jede dieser Figuren an einen Punkt zu bringen, an dem sie sich damit auseinandersetzen muss, ob und unter welchen Bedingungen sie an ihrer Heimat festhalten will.

Haben Sie zu diesen Fragen einen persönlichen Bezug?

Für mich ist eine solche Entscheidung über Heimat von anderen gefällt worden. Als ich zehn Jahre alt war, ist meine Familie aus Tschechien nach Deutschland emigriert. Auch wenn für uns dadurch vieles besser wurde, das Gefühl der Entwurzelung wird man nicht los. Es kann sein, dass das einen Teil meiner Faszination ausgemacht hat: Familien, die seit Jahrhunderten an einem Ort verwurzelt sind - mehr Heimat geht nicht. Und es ist eine so ganz andere Lebenserfahrung als meine. Vielleicht wollte ich dieses Thema auch deshalb so intensiv ergründen.

Sie arbeiten als Journalistin und haben an mehreren Büchern als Co-Autorin mitgewirkt, u.a. beruht der Spiegel-Bestseller „I´m a Nurse“ auf einer Zusammenarbeit von Franziska Böhler und Ihnen. Worin besteht für Sie der Unterschied zwischen der Arbeit an einem Roman und den anderen Texten, die Sie bisher veröffentlicht haben?

Ich hatte zunächst etwas Angst, den sicheren Hafen an Fakten zu verlassen, der ja bisher immer mein Ausgangsmaterial bei den Sachbüchern war. Wahrscheinlich habe ich deshalb bei der Arbeit am Roman teilweise daran festgehalten und orientiere mich auch hier stark an der Wirklichkeit. Aber immer, wenn ich dann doch rein aus der Vorstellungskraft geschöpft habe, hat das Schreiben am Ende sehr viel mehr Freude gemacht, als ich erwartet hatte.

„Bergland“ haben Sie in einem ausdrucksstarken, eigenen Tonfall geschrieben. Wie ist es Ihnen gelungen, zu dieser Sprache zu finden?

Ich wollte gerne, dass sich die Erzählstränge aus der Vergangenheit alt anhören und die gegenwärtigen jung. Den jungen Ton zu treffen, ging fast von selbst, dass er dann recht unterhaltsam geraten ist, hat sich ergeben. Das hat viel mit der Figur der jungen Bäuerin Franziska zu tun, der es hilft, die Welt mit einer gewissen Süffisanz zu betrachten, wenn sie sie als schwierig empfindet. Den Vergangenheitston zu finden, war sehr viel schwerer und hat viele Anläufe gebraucht. Geholfen hat, Wörter aus dem Südtiroler Dialekt einzubauen.

Wusste die Familie, bei der Sie in Südtirol untergekommen waren, dass Sie im Sinn haben, einen Roman über das Leben auf einem Bergbauernhof zu schreiben?

Ich habe von Anfang an mit offenen Karten gespielt und erzählt, dass das eventuell passieren könnte. Da ich aber eben nicht wusste, ob es wirklich etwas werden würde, hatte ich auch genau das kommuniziert. Und als es dann doch konkret wurde, habe ich auch das mitgeteilt – und alle, die davon wissen, freuen sich und fiebern sehr mit.
Was möchten Sie sich und Ihrem Sohn nach der Rückkehr aus der Bergwelt bewahren?

Unbedingt die Wertschätzung für landwirtschaftliche Produkte und für bäuerliche Arbeit. Ein Bewusstsein für die Herkunft unserer Lebensmittel und ihrer Erzeugungsbedingungen zu haben, finde ich unerlässlich. Das ist etwas, worüber wir viel sprechen und womit ich mich noch immer sehr beschäftige. Und ich würde mir wünschen, dass uns alle diese Zusammenhänge viel mehr interessierten. Für meinen Sohn hoffe ich außerdem, dass sich die Erfahrungen, mit einer Schar von Kindern frei in Wald, Wiese und Stall gespielt und ein paar übermütige Kälber im Zaum gehalten zu haben, tief in seinen Erinnerungen und in seinem Herzen eingegraben haben.

Ist Ihnen aus der Bergzeit etwas geblieben, wonach Sie sich sehnen?

Nach unserer Rückkehr in die Stadt war mir die Abwesenheit der Tiere, insbesondere der Kühe, schon beinahe schmerzlich präsent. Dass man sie nicht mehr sieht, nicht hört, nicht riecht, oder wenigstens ihr Futter – den auf dem Hof allgegenwärtigen Heugeruch. Manchmal suche ich Ersatz. Im Hamburger Umland gibt es einige Höfe, die offen für Besucher sind, und dort sind wir an den Wochenenden oft. Es wird dort immer recht schnell voll, was mir jedes Mal vor Augen führt, wie entfremdet die meisten von uns inzwischen von der Landwirtschaft sind; dass viele Familien heute weit fahren müssen, um ihren Kindern Tiere zu zeigen oder eine Kartoffel in der Erde. Gleichzeitig zeigt es aber auch, dass viele Menschen das große Bedürfnis haben, Tiere und Landwirtschaft zu erleben. Ich bin mit diesen Sehnsüchten alles andere als allein.

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© WUNDERRAUM Verlag
Interview: Elke Kreil